"Am Anfang der Evolution war nach Auffassung von Nicholas Humphrey die Reaktionsbereitschaft von Organismen auf Umgebungsreize auf die Grenzoberflächen dieser Organismen beschränkt. Die Reaktionsbereitschaft zeige sich zum Beispiel darin, dass sich eine Membran oder Haut zusammenzieht, verhärtet oder chemische Stoffe absondert. In diesen Reaktionen sieht Humphrey den primitivsten und ursprünglichsten evolutionären Vorläufer von Empfindungen und Wahrnehmungen. Am Anfang der Evolution wären Reizempfindlichkeit und Reaktionsbereitschaft noch eng miteinander verknüpft, wenn nicht sowieso ein und dasselbe gewesen. Erst mit zunehmender Verhaltensanpassung der Lebewesen an die Umwelt und mit der Entwicklung leistungsfähiger kognitiver Systeme hätten sich Empfindung und Reaktion immer mehr voneinander entkoppelt, sodass wir bei höheren Lebewesen zwei sich ergänzende Perspektiven ihrer Informationsverarbeitung unterscheiden könnten: 1. Was geht da draußen vor? (Humphrey bezeichnet dies als "Wahrnehmung".) 2. Was geht mit mir vor? (Humphrey bezeichnet dies als "Empfindung".)

Boessmann 2013, S. 26.