Zitate zur Kopenhagener Deutung

Bunge: Kopenhagener Deutung

"Den Kern der Kopenhagener Interpretation bildet folgende phänomenalistische These: "Der physikalische Gegenstand hat keine vom erkennenden Subjekt oder Beobachter unabhängige Existenz. Es existiert nur eine geschlossene Einheit, die sich - auf geheimnisvolle Weise - aus dem Beobacher, seinen Beobachtungsmitteln und dem Gegenstand der Beobachtung zusammensetzt. Die Unterscheidung zwischen den drei Komponenten dieses Systems ist nicht eindeutig und objektiv, sondern es bleibt dem Gutdünken des erkennenden Subjekts überlassen, das Objekt in den Apparat einzugliedern oder diesen als Verlängerung seiner selbst zu betrachten. Daher muss sich jede Behauptung über ein Mikroobjekt auch auf die Art seiner Beobachtung beziehen. Und jede Formel der Quantenmechanik erfüllt diese Bedingungen, d.h., sie bezieht sich auf eine experimentelle Situation.""

Bunge 2004, S. 132f.

Bunge: Kopenhagener Deutung nicht beobachterabhängig

"Das Ergebnis unserer Analyse ist klar: Die phänomenalistische These der Kopenhagener Interpretation ist falsch. Die Formeln der Quantenmechanik beziehen sich ausschließlich auf physikalische Entitäten. ... Negativ ausgedrückt: Im Gegensatz zu dem, was die Verteidiger der Kopenhagener Deutung behaupten, bezieht sich die Quantenmechanik nicht auf Beobachter oder Messapparate. Täte sie dies, würde sie Formeln enthalten, die das Verhalten der Beobachter berücksichtigen: Diese Formeln würden erlauben zu beschreiben, wie sie die Apparate entwerfen, konstruieren sie handhaben und vielleicht sogar noch, wie sie sie finanzieren. ... Die Quantenmechanik ist eine strikt physikalische Theorie und steht damit völlig in Einklang mit dem Materialismus: Sie liefert keine subjektivistischen, antirealistischen oder antimaterialistischen Argumente."

Bunge 2004. S. 143f.

Byrne: Kopenhagener Deutung belässt Willensfreiheit

"In der Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich die amerikanischen Physiker nur wenig mit den philosophischen Fragen der Quantenmechanik. ... Wenn sie überhaupt nach einer Interpretation suchten, zogen sie gewöhnlich die Kopenhagener Deutung mit ihrer "Frag nichts, sag nichts"-Einstellung vor, denn sie ließ den freien Willen intakt, und das war ein Vorzug.

Byrne 2012, S. 125f.

Jammer: Kopenhagener Deutung hat etwas für jeden

"Die Kopenhagener Deutung ist nicht ein einziges, klares, eindeutig definiertes System von Gedanken, sondern vielmehr ein gemeinsamer Nenner für eine Vielzahl von Ansichten. Sie ist auch nicht notwendig mit einer bestimmten philosophischen oder ideologischen Position verknüpft. Sie lässt sich, und wurde auch, vertreten von Anhängern höchst unterschiedlicher philosophischer Meinungen, zu denen strikter Subjektivisimus und reiner Idealismus ebenso gehörten wie Neo-Kantianismus, kritischer Realismus, Positivismus und dialektischer Materialismus."

Max Jammer 1974, zit. in Byrne 2012, S. 126f.

Laughlin: Kopenhagener Deutung ergibt keinen Sinn

"So war die Tatsache, daß die Kopenhagener Deutung überhaupt keinen Sinn ergab, ihre eigentliche Stärke, weil sie es erlaubte, vollkommen durchsichtig zu erscheinen, während man sich doch eigentlich extrem undurchsichtig verhielt. Man konnte die Ergebnisse seiner Forschungen in wissenschaftlichen Zeitschriften offenlegen, dabei aber einen entscheidenden Teil der Berechnungstechnologie zur Weitergabe als "intuitives Wissen" an die Doktoranden (Lehrlinge) und die Postgraduierten (Gesellen) einbehalten - und somit das Handwerk tradieren. Später kam als unverhoffte Dreingabe hinzu, daß sich die Geheimnistuerei ungeheurer Beliebtheit bei den jungen Forschern erfreute." S. 52

"In offensichtlicher Verzweiflung über das, was geschehen war, veröffentlichte er [Erwin Schrödinger] den Aufsatz Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik, in dem er seine berühmte Katze einführte. Er wollte zeigen, daß eine der logischen Folgerungen der Kopenhagener Deutung offenkundig absurd war, und sie widerlegen. ... Natürlich ging Schrödingers Strategie nicht auf - im Gegenteil, der ihm entstandene Schaden konnte nicht mehr behoben werden. Anstatt die Kopenhagener Deutung zu widerlegen, wie sei es hätte tun sollen, wurde Schrödingers Katze zu ihrem Vorzeigeobjekt. So symbolisiert sie jene übergreifende Verwirrung, die Forscher überall auf der Welt bis heute meinen aufrechterhalten zu müssen, um ernst genommen zu werden - wie bei den Erkenntnissen des Lao-Tse." S. 53-54

"Murray Gell-Mann ging so weit, in seiner Dankesrede zur Verleihung des Nobelpreises 1976 zu sagen: "Niels Bohr unterzog eine ganze Generation von Physikern einer Gehirnwäsche, indem er sie glauben machte, das Problem [der Auslegung der Quantenmechanik] sei bereits vor fünfzig Jahren gelöst worden." Aber kein Naturwissenschaftler, der etwas auf sich hält, beschäftigt sich öffentlich mit der Bedeutung der Quantenmechanik, eben weil das angeblich keine Wissenschaft ist. ... Obwohl er [Erwin Schrödinger] von anderen Experten auf diesem Gebiet ständig gelobt, zitiert und in zahllosen Lehrbüchern verewigt wurde, war er für die entscheidenden Leute persona non grata, weil er ihr Kartenhaus zum Einstürzen gebracht hatte. Daß er im Recht war, machte die Sache nur noch schlimmer. Zudem stellte er bis an sein Lebensende eine äußerte Gefahr dar, denn er war ein echter Gelehrter, nachweislich ein Revolutionär und ein Mann, der das stärkstmögliche Motiv hatte, die Kopenhagener Deutung zu vernichten - weil sie ihm nämlich persönlich solch ungeheures Unrecht angetan hatte." S. 55.

Robert B. Laughlin: Schrödingers Problem: Oder: Was bei der Erfindung der Quantenmechanik nicht logisch zu Ende gedacht wurde. In: Gumbrecht 2008.

 

philo.at: Kopenhagener Deutung als Bankrott Erklärung

"Die Kopenhagener „Deutung“ kommt faktisch einer Bankrott Erklärung der Leitwissenschaft unter den Naturwissenschaften, der Physik, gleich. Was sich aus einer Vielzahl begrifflicher Unbestimmtheiten entwickelt hat, ist ein grundsätzlicher Verzicht auf eine Semantische Bestimmung, eine Sinnfüllung, eine klare Begriffliche Benennung der beobachteten Quantenphänomene, die in sich widersprüchliche Begriffe wie „stehende Materiewelle“(Heisenberg) zur Folge hat und mit sich führt, dies mündet in einem rein formalistischen Berechnen, ohne zu wissen was das eigentlich ist was dort berechnet wird. Was geschieht mit einer Wissenschaft die zwar Form hat aber keinen benennbaren Inhalt? (In dieser Wissenschaft ist…) kein Satz (ist) ohne Gehalt oder ohne Form möglich. Es muss etwas seyn, wovon man weiss, und etwas, das man davon weiss. Der erste Satz aller Wissenschaftslehre muss demnach beides, Gehalt und Form haben. [Fichte: über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, S. 31. (vgl. Fichte-W Bd. 1, S. 49)] Diese Ermangelung von einem eindeutig, begrifflich bestimmbaren Inhalt, äußert sich in einer Vielzahl von konkurrierender Erklärungsversuchen."

http://philo.at/wiki/index.php/Quantenphysik_und_Indeterminismus, abgerufen am 3.1.2014.

Vaas: Der Widerspruch des Messproblems

In der Standardformulierung – oder orthodoxen Interpretation – der Quantentheorie kommen zwei Arten von Gesetzen vor, die einander streng genommen widersprechen:

• Erstens die deterministische Dynamik der linearen, reversiblen Schrödinger-Gleichung. Sie gilt für ein unbeobachtetes Quantensystem. Es befindet sich in Superposition – in einem „verschmierten" Überlagerungszustand aller möglichen Einzelzustände.

• Und zweitens der zufällige, nicht determinierte und diskontinuierliche so genannte Kollaps der Wellenfunktion zu einem „scharfen" Eigenzustand der Observablen (der Messgröße), wenn das System gemessen wird. Daher können wir immer nur bestimmte, eindeutige Eigenschaften messen. Hier kommt es also zum Übergang vom Mikro- zum Makrokosmos und von der Reversibilität zur Irreversibilität, denn der Messprozess lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Das berüchtigte Messproblem in der Quantenphysik entsteht, weil diese beiden dynamischen Gesetze nicht miteinander kompatibel sind – und kein System gleichzeitig beiden gehorchen kann, wenn man Messgeräte (oder auch Beobachter mit Bewusstsein) als gewöhnliche physikalische Systeme versteht.

Obwohl sich die Quantentheorie für alle praktischen Zwecke bewährt hat, lässt die orthodoxe Lehrbuch-Interpretation der Quantenmechanik von Bohr und Heisenberg – die so genannte Kopenhagener Deutung – offen, was eigentlich eine Messung konstituiert und wie es folglich zum Kollaps der Wellenfunktion kommt. Auch ist deren Bedeutung bis heute nicht klar. Schrödingers Kollege Erich Hückel brachte die Verwirrung schon früh poetisch auf den Punkt: „Gar manches rechnet Erwin schon/ Mit seiner Wellenfunktion./Nur wissen möcht man gerne wohl/ Was man sich dabei vorstell'n soll."

Rüdiger Vaas, Bild der Wissenschaft (abgerufen am 16.2.2014).

Vaas: kaum jemand verteidigt noch die Kopenhagener Deutung

""Inzwischen ist man davon abgekommen, sich das Messproblem ausreden zu lassen", sagt Detlef Dürr. Die Quantentheorie müsse von der Natur handeln und nicht von subjektiven Beobachtungen. „ Viele Physiker machen Lippenbekenntnisse zur Kopenhagen-Interpretation, wonach die Quantenmechanik fundamental von Beobachtungen und Messergebnissen handelt. Aber es wird immer schwieriger, jemanden zu finden, der diese Interpretation verteidigt, wenn man ihn angreift", schlägt Sheldon Goldstein von der State University of New Jersey in Rutgers in dieselbe Kerbe. „ Es wird deutlich, dass die Quantenmechanik fundamental von Atomen und Elektronen handelt und nicht von den makroskopischen Regularitäten, die mit dem verbunden sind, was wir Messungen nennen."

Auf der Quantenphysik-Konferenz in Bielefeld ist einmal mehr deutlich geworden, wie berechtigt Einsteins Widerstand war und immer noch ist. Bezüglich seines Beharrens auf einer realistischen, objektivistischen Interpretation kann man inzwischen von seiner Rehabilitierung sprechen, auch wenn offen ist, welche Form die Quantentheorie künftig einnehmen wird."

Rüdiger Vaas, Bild der Wissenschaft (abgerufen am 16.2.2014).

Wehler: deterministische Beschreibungen der Quantenmechanik

"In dieser radikalen Interpretation der Quantenmechanik gilt das Prinzip vom zureichenden Grund nicht mehr. Dieser "Kopenhagener Deutung" haben sich allerdings nicht alle Physiker angeschlossen. Manche von ihnen schätzen die Quantenmechanik als eine unvollständige Theorie ein und erwarten, dass auf einer tieferen Ebene wieder eine deterministische Beschreibung möglich sein wird. Alle bisher vorgeschlagenen Arten von deterministischen Theorien wurden jedoch durch das Experiment widerlegt. Dennoch ist die Kontroverse noch nicht zu Ende, weil immer wieder neue Arten deterministischer Theorien ersonnen werden."

Wehler 2007, S. 55.