Beachten Sie auch die alternativen und kompakteren Beiträge zur Willensfreiheit

1. Einleitung

Eine der ältesten Debatten in der Philosophie befasst sich mit der Frage nach der Willensfreiheit des Menschen – was den Laien erstaunen mag, der überzeugt ist, dass (fast) jeder Mensch über die Freiheit seines Willens verfügt. Die Intuition, dass wir Menschen zumindest gewisse Entscheidungen aus eigenem freien Willen fällen und deshalb für diese Entscheidungen verantwortlich gemacht werden können, scheint eine der universellsten Grundüberzeugungen (fast) jedes Menschen zu sein.

Eine andere, ähnlich starke und allgemeine Intuition besteht in der Frage nach der Indetermination unserer Welt. Eine repräsentative Umfrage1 in der gesamten Schweiz würde mit Sicherheit eine umwerfende Mehrheit ergeben für die Ansicht, unsere Zukunft sei nicht prädestiniert. Wäre sie das, so lautet ein weitverbreiteter Gedanke, dann hätten wir mit Sicherheit keine Wahlmöglichkeit über unsere Zukunft und folglich keine Willensfreiheit. Die Argumentation für diesen Schluss würde wohl lauten, dass man nur von einem freien Willen sprechen kann, wenn man sich frei entscheiden kann. So würde ich zum Beispiel nur dann eine Entscheidung aus freiem Willen treffen können, wenn ich die Möglichkeit habe, zwischen mindestens zwei Alternativen auszuwählen – also entweder jetzt diese Arbeit zu schreiben, oder mich in die Sonne zu legen und auszuruhen. Nur wenn ICH selbst für die Entscheidung den Ausschlag geben könne, (in meinem Fall die Arbeit zu schreiben), treffe ich sie aus freiem Willen2. Um diese Wahl aber ursprünglich treffen zu können müsse folglich die Zukunft unvorherbestimmt, nichtprädestiniert, also indeterministisch sein.

Somit scheint kein diskussionswürdiges Problem zu bestehen. Womit beschäftigen sich also die Philosophie? Das Problem, das wir in dieser Arbeit näher betrachten wollen, besteht darin, dass für die meisten Philosophen, aber auch für Naturwissenschafter die zweite Intuition notwendig falsch sein muss. Eine indeterministische, nichtprädestinierte Welt sei schlichtweg nicht vorstellbar und weder mit unserem logischen Denken vereinbar.

Während für den Laien die Freiheit des Willens die primäre Intuition ist und die Indeterminationsthese eigentlich nur eine Ableitung davon darstellt, scheint für den Wissenschafter die Determinationsthese eine notwendige Bedingung zu sein, um seiner Wissenschaft überhaupt nachgehen zu können. Da die Determinationsthese auch für die meisten Philosophen absolute Gültigkeit hat, ergibt sich für sie die Schwierigkeit, dass aufgrund der Umkehrung des oben dargestellten Arguments, die These der Freiheit des Willens aufgegeben werden müsste.

Die philosophische Diskussion der Willensfreiheit bewegt sich fast ausschliesslich um diesen Problemkomplex. Die folgende Arbeit wird sich der zentralen Fragestellung dieses seit über 2000 Jahren anhaltenden Streits widmen, also der Frage nach der Vereinbarkeit von freiem Willen und Determinismus. Gibt es eine Möglichkeit, die beiden oben dargestellten, offensichtlich oder scheinbar gegensätzlichen, als apodiktisch evident angenommenen Grundsätze zusammenzubringen3? Oder muss einer der Thesen aufgegeben werden? Besitzen wir gar keinen absoluten freien Willen4, oder ist diese Welt doch nicht deterministisch aufgebaut?

In einem kurzen ersten Kapitel werde ich die beiden zentralen Begriffe – Willensfreiheit und Determinismus – definieren. Im zweiten Kapitel, widme ich mich den wichtigsten philosophischen Theorien zu diesem Thema und werde versuchen, ihre Stärken und Schwächen aufgrund von namhaften Vertretern darzulegen. Im dritten Teil, der zugleich als Schlusswort dienen wird, werde ich meine Version einer Lösung des zentralen Problems in der Willensfreiheitsdebatte darlegen und versuchen eine befriedigende Antwort auf die Fragestellung dieser Arbeit zu geben.

2 Definitionen

2.1 Determinismus

Die Vorstellung einer determinierten Welt ist für viele eine Schreckensvorstellung: so würde das bedeuten, dass alles prädestiniert ist, also schon von Anbeginn der Zeiten (oder seit aller Unendlichkeit5) bestimmt war, dass ein Hitler in Deutschland an die Macht kommen würde, aber auch, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt die Taste „Z“ drücke. Die Konsequenz daraus, dass auch alle unsere zukünftigen Handlungen bereits bestimmt, vorbestimmt, eben determiniert sind und wir somit keine Wahlmöglichkeit haben, ist für viele Menschen eine Schreckensvorstellung6. Wenn es aber schon zu Urzeiten bestimmt war, dass die Person A in zehn Jahren die Person B erschiessen wird, wie kann dann die Person A dafür zur Rechenschaft gezogen werden? Dieser Frage werden wir später noch nachgehen, vorerst geht es darum, den Begriff des Determinismus genauer zu umreissen:

Dieser Begriff wird in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, so z.B. mit Prädestination (Gott ist allwissend, also weiss er auch wie die Zukunft aussehen wird, also muss die Zukunft von Beginn an vorbestimmt sein), oder in Zusammenhang mit Kausalität, wobei sein semantischer Gehalt derselbe bleibt.

Peter Van Inwagen hat die Vorstellung eines deterministisch aufgebauten Weltbilds mit verschiedenen Argumenten zu widerlegen versucht. Dabei hat er auch präzise Beispiele gebracht, was wir unter Determinismus zu verstehen haben:

Für jeden Zeitpunkt gibt es eine Proposition, die den Zustand der Welt zu diesem Zeitpunkt ausdrückt. Wenn A und B beliebige Propositionen sind, die den Zustand der Welt zu zwei Zeitpunkten ausdrücken, dann hat die Konjunktion von A mit denGesetzen der Physik B zur Folge.“7

Wenn wir die Gesetze der Physik als Kausalgesetze betrachten, stellt diese Definition eine brauchbare Definition von Determinismus dar. Von jedem Zeitpunkt kann somit – mit genügend Wissen und der Kenntnis der Kausalgesetze - auf jeden beliebigen anderen Zeitpunkt B geschlossen werden. Zum Zeitpunkt A steht also bereits fest, wie die Welt zum Zeitpunkt B aussehen wird.

Determinismus wird häufig auch als „Verneinung eines freien Willens“8 definiert, was in der von uns untersuchten Debatte von vielen namhaften Vertretern bestritten wird. Um uns diesem Problem widmen zu können, müssen wir aber erst untersuchen, was wir unter „Willensfreiheit“ zu verstehen haben.

2.2 Willensfreiheit

Der lateinische Fachausdruck für Willensfreiheit ist liberum arbitrium. Darunter findet sich im Philosophielexikon von Hügli und Lübcke folgende Definition:9

Der Ausdruck liberum arbitrium bezeichnet traditionell einen freien Willen, d.h. eine Fähigkeit, zwischen alternativen Möglichkeiten zu wählen. Der Wille ist indeterminiert, d.h. nicht kausal bestimmt, sondern hat die Freiheit zu wählen: ferner unbestimmt, denn es gibt keinerlei Motiv, Pflicht oder Prinzip, das in der Wahl eine Bevorzugung der einen Möglichkeit vor der anderen zu rechtfertigen erlauben würde.“

Diese Definition enthält verschiedene wichtige, aber auch sehr kontroverse Elemente:

  1. Prinzip der alternativen Möglichkeit (PAP, principle of alternate possibilities)

  2. Indeterminiertheit – fehlende kausale Bestimmung

  3. Wahlfreiheit

  4. Unbestimmtheit der Wahl

Im folgenden möchte ich kurz in umgekehrter Reihenfolge auf diese Punkte eingehen und zeigen, wo die Probleme dieser Definition für unsere Debatte liegen.

Zu 4. Gegen das letzte Prinzip, also dasjenige der Unbestimmtheit der Wahl, wenden sich vor allem Rationalisten wie zum Beispiel Kant. Doch auch Hobbes oder Hume wehren sich gegen die Ansicht, eine Entscheidung aufgrund des freien Willens müsse frei von jeglichem Prinzip, also auch frei von jeglicher Rationalität sein. Sie argumentieren, dass eine Entscheidung nur dann als aufgrund von freiem Willen gefällt gelten kann, wenn sie rational erklärbar ist. Fehle diese Bedingung, dann sei Willensfreiheit mit Willkür gleichzusetzen, oder wie es Hume formuliert:

Wenn Freiheit, wahre Freiheit, darin besteht, dass man sich von der Leitung der Vernunft losreisst und von allen Schranken der Prüfung und des Urteils frei ist, die uns von dem Erwählen und Tun des Schlechten bewahren, dann sind Tolle und Narren die einzigen Freien: allein ich glaube, keiner, der nicht schon toll ist, wird um einer solchen Freiheit willen wünschen, toll zu werden.“10

Zu 3. und 1. Die Wichtigkeit der Wahlfreiheit und des Principles of alternate possibilities (also der Möglichkeit, zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen zu können) für die Problematik der Willensfreiheit zeigt uns Roderick Chisholm:

Wir wollen eine Tat oder Untat betrachten, die einem verantwortlichen Handelnden zugeschrieben werden kann: Sagen wir, ein Mensch erschoss einen anderen. Wenn der Mensch verantwortlich war für das, was er tat, dann würde ich darauf bestehen, dass das, was zum Zeitpunkt des Schiessens geschehen sein soll, ganz und gar in der Hand des Menschen lag. Es gab einen Augenblick, zu dem beides wahr war: Er hätte den Schuss abfeuern können, und er hätte es auch unterlassen können, ihn abzufeuern [Wahlfreiheit].Und wenn dies so ist, dann hätte er, obschon er ihn abfeuerte, statt dessen etwas anderes tun können [PAP]. (Er fand sich nicht dabei, dass er den Schuss, wie wir sagen, >gegen seinen Willen< abfeuerte.)“11

Für Roderick Chisholm stellt also die absolute Wahlmöglichkeit und -freiheit zwischen mindestens zwei Alternativen eine notwendige Bedingung für verantwortliches Handeln sowie auch für die Freiheit des Willens dar. Auch dieses Prinzip wird jedoch von Kompatibilisten (diejenigen, die an die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus glauben) in Frage gestellt. So werden wir später bei Harry G. Frankfurt ein Argument sehen, das zeigen soll, dass wir auch ohne dem principle of alternate possibilites für unsere Handlungen verantwortlich gemacht werden können, womit er glaubt, ein Argument der Inkompatibilisten (diejenigen, die nicht an die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus glauben) zu widerlegen, das sein Prinzip als notwendige Bedingung für moralische Verantwortung betrachtet.

Zu 2. Wie wir bereits in der Einleitung gesehen haben, stimmen die meisten klassischen wie zeitgenössischen Philosophen der zweiten Bedingung für Willensfreiheit nicht zu. Für sie ist Willensfreiheit durchaus vereinbar mit einer kausal bestimmten Welt, ja sie sehen sogar Kausalität als notwendige Bedingung dafür, da sonst Willensfreiheit mit absolutem Zufall (als Gegenteil von Notwendigkeit oder Kausalität) gleichgesetzt werden müsste, eine absolut zufällige Entscheidung aber offensichtlich nicht von einem Subjekt verursacht wurde (definitionsgemäss) und somit willkürlich und mit Sicherheit unfrei ist.12

Das Problem, Freiheit mit Notwendigkeit gleichsetzen zu müssen (was intuitiv einen Selbstwiderspruch darzustellen scheint) hat seit Hobbes zur weitverbreiteten Ansicht geführt, Willensfreiheit als „libertas a coactione“ zu definieren, als Abwesenheit von physischem Zwang, oder wie es Hume formuliert:

Unter Freiheit können wir somit nur eine Macht, zu handeln oder nicht zu handeln, entsprechend den Willensentscheidungen (a power of acting or not acting, according to the determinations of the will), verstehen; d.h. wollen wir uns ruhig verhalten, so können wir es; wollen wir uns bewegen, so können wir es auch. Diese bedingte Freiheit wird allgemein jedem zugestanden, der kein Gefangener ist und in Ketten liegt. Das ist unbestritten.“13

Wichtig für das Verständnis dabei ist der Hinweis, dass Hume nicht sagt, dass der Handelnde frei ist zu wollen, was er will sondern nur, dass sein Wille die Handlung verursacht.14 Somit ist seine Definition mit dem Determinismus vereinbar. Dass diese Neudefinition des Willensfreiheitsbegriff kaum noch etwas gemeinsam hat mit dem von Hügli/Lübcke formulierten Begriff erscheint offensichtlich. Auch wenn Humes Definition heute stark modernisiert daherkommt, bin ich überzeugt, dass der Grundkern derselbe geblieben ist und sich die Willensfreiheitsdebatte vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich um diesen Bedeutungsunterschied des Begriffs „Willensfreiheit“ dreht.

Während die Kompatibilisten die Notwendigkeit von Kausalität im Freiheitsbegriff betonen versuchen die Inkompatibilisten standhaft zu zeigen, dass Freiheit durch Unabhängigkeit, also gerade durch Fehlen von Kausalität definiert sei. Um diesen unterschiedlichen Bedeutungen semantisch gerecht zu werden, werde ich für diese Arbeit die beiden Begriffe wie folgt benennen und definieren:

  • absolute Willensfreiheit: Absolute Willensfreiheit ist eine notwendige Bedingung für die metaethische Begründung von moralischer Verantwortung. Sie entspricht hauptsächlich dem von den Inkompatibilisten eingenommenen Standpunkt, da sie zumindest einen zum Teil unverursachten Willen voraussetzt15. Es gibt nur eine absolute Willensfreiheit.

  • relative Willensfreiheit: Relative Willensfreiheit ist für die metaethische Begründung von moralischer Verantwortung ohne Relevanz. Sie entspricht hauptsächlich dem von den Kompatibilisten eingenommenen Standpunkt und ist unbestrittenermassen mit dem Determinismus kompatibel. Beispiele von relativer Willensfreiheit sind Handlungsfreiheit (Kapitel 3.2.1), Freiheit von Zwang oder politische Freiheit. Der Begriff der relativen Willensfreiheit ist mehrdeutig.

3 Positionen

3.1 Allgemeiner Überblick

Die Willensfreiheitsdebatte bezieht ihre enorme Wichtigkeit für die Metaethik aus der Vorstellung, dass Willensfreiheit eine notwendige Bedingung für moralische Verantwortung darstellt. Diese wiederum ist Grundlage sowohl unserer Ethik, unserer Religion als auch unseres Rechtssystems. Ist der Mensch in einem absoluten Sinn nicht moralisch verantwortlich für seine Handlungen, darf er innerhalb unseres Gerechtigkeitsbegriffs weder für seine Sünden noch für seine Straftaten zur Rechenschaft gezogen werden.

Den meisten Autoren liegt es deshalb daran, zu zeigen, wie Willensfreiheit und moralische Verantwortung in unserer Welt möglich sind, wobei bis heute keine wirklich überzeugende Lösung für dieses Problem gefunden wurde! Wenn aber moralische Verantwortung und die Freiheit des Willens existieren (wie wir es tagtäglich zu erleben und zu spüren glauben), muss es eine Lösung des Problems geben – oder es muss resigniert und konstatiert werden, dass wir nicht in einem absoluten, relevanten Sinn willensfrei oder moralisch verantwortlich für unsere Handlungen sein können.

Die Debatte, die im folgenden untersucht werden wird, ist hauptsächlich jene zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten. Während erstere glauben, dass Determinismus mit der Freiheit des Willens vereinbar ist, sind letztere überzeugt, dass Willensfreiheit nur in einer indeterministischen Welt möglich ist. Es gibt aber auch noch eine kleine Minderheit, die glaubt, dass die Debatte nicht gelöst werden kann, wir also keinen freien Willen besitzen (Peter F. Strawson nennt sie „Pessimisten“) und in einer deterministischen Welt leben. Indeterministen, die nicht an eine Lösung des Problems glauben sind mir keine bekannt.

Frischen Wind in die Debatte hat Peter F. Strawson mit seinem Artikel „Freedom and Resentment“ gebracht. Er wisse nicht, was die Determinismusthese bedeute und versucht deshalb ausserhalb der bislang üblichen Grenzen eine scheinbar neue, sehr interessante These darzulegen.

3.2 Pessimisten

3.2.1 Allgemeine Position der Pessimisten

Peter Van Inwagen widmet ein ganzes Kapitel der Frage, was es für den Menschen bedeuten würde, wenn er keinen freien Willen hätte. Er zeigt keinerlei Verständnis für diese Lösung, da es doch offensichtlich sei, dass wir einen freien Willen hätten:

The answer is: to reject free will is to condemn oneself to a life of perpetual logical inconsistency. Anyone who rejects free will adopts a general theory about human beings that he contradicts with every deliberate word and act.“

Pessimisten sind gerade davon überzeugt, was Van Inwagen für unvorstellbar hält: ein absoluter Willensfreiheitsbegriff kann nicht mit unserer Erkenntnis der Welt übereinstimmen, weshalb konstatiert werden muss, dass absolute Willensfreiheit nicht existiert. Pessimisten sind sehr rar gesät16, da die Konsequenz, auf absoluten freien Willen und damit auf wahre, absolute moralische Verantwortung zu verzichten, durchaus unser Weltbild auf den Kopf zu stellen scheint. Den Pessimisten erscheint aber gerade das als die einzige Möglichkeit, da sie behaupten, dass Willensfreiheit weder mit dem Determinismus noch mit dem Indeterminismus zu vereinen sei und folglich aufgrund des logischen Satzes vom ausgeschlossenen Dritten nur die Möglichkeit bleibe, Willensfreiheit zu leugnen.

Die Pessimisten stimmen mit den Inkompatibilisten überein, dass es zwar durchaus einen konsistenten deterministischen, relativen Freiheitsbegriff gebe (Freiheit von Zwang, politische Freiheit etc.), dieser aber für die Willensfreiheitsdebatte irrelevant sei. Sie stimmen zudem mit den Kompatibilisten überein, dass eine indeterministische Welt nicht vorstellbar sei. Aus diesen Prämissen kommen sie zum Schluss, dass wir in einer deterministischen Welt leben, da aber Determinismus für einen absoluten Willensfreiheitsbegriff nicht genügt, keine für absolute moralische Verantwortung hinreichende Willensfreiheit logisch möglich sei.

Die einzelne Argumentation der Pessimisten entspringt vorwiegend den Gegenargumenten der beiden grossen Streitparteien mit Ausnahme eines Arguments von Arthur Schopenhauer, das meiner Meinung nach grössere Klarheit in die Debatte einbringen kann, weshalb ich es hier kurz erörtern möchte.

3.2.2 Arthur Schopenhauer

Dass Schopenhauer zu den Pessimisten gezählt werden darf, zeigt das folgende, nicht untypische Zitat, wo er aufzeigt, dass für ihn absolute Willensfreiheit unvorstellbar ist:

Unter Voraussetzung der Willensfreiheit wäre jede menschliche Handlung ein unerklärliches Wunder – eine Wirkung ohne Ursache. Und wenn man den Versuch wagt, ein solches liberum arbitrium indifferentiae sich vorstellig zu machen; so wird man bald innewerden, dass dabei recht eigentlich der Verstand stillesteht: er hat keine Form, so etwas zu denken.“17

Meiner Meinung nach zeigt Schopenhauer in seiner Preisschrift über die Freiheit des Willens exakt das Problem auf, weshalb die Debatte über Willensfreiheit weiterhin andauert, obwohl die erhoffte Lösung auch heute noch kaum näher zu sein scheint, als vor 2000 Jahren.18 Er unterscheidet (wie auch Hume) klar zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit.

Aufgrund meines Willens könne ich durchaus handeln und somit tun, was ich will. Doch berühre das nicht unser Problem, weil die Frage laute, ob wir wollen können, was wir wollen.19 Die zentrale Unterscheidung dabei ist, dass für die Art der Willensfreiheit, wie sie die Inkompatibilisten fordern (also der absoluten), die Unverursachtheit des Willens notwendig ist. Wenn ein ICH verantwortlich sein soll für seinen Willen, dann dürfe dieses ICH nicht komplett verursacht sein, da sonst die Ursache (z.B. Gott als erste Ursache verstanden) für seinen Willen verantwortlich sei. Ein auf welche Art auch immer unverursachter Wille wird von den Inkompatibilisten also als notwendige Bedingung gesehen, um überhaupt von absoluter Willensfreiheit sprechen zu können. In Schopenhauers Ausdrucksweise würde das vielleicht heissen: Ich kann nur wollen, was ich will, wenn mein Wille unverursacht ist.20

Die Kompatibilisten übergehen meist dieses Problem (das meiner Meinung nach nicht lösbar ist) und konzentrieren sich auf die Frage, ob wir tun können, was wir wollen. Damit umgehen sie in der Tat das relevante Problem, da auch die meisten Inkompatibilisten zugeben würden, dass im Falle eines Determinismus eine Handlungsfreiheit durchaus bestehen könne. Vielmehr muss sogar betont werden, dass ein Handelnder nur dann für seine Handlung moralisch verantwortlich gemacht werden kann, wenn zwischen seinem Entschluss zu handeln und seiner Handlung eine kausale Verknüpfung besteht. Fehlt diese Verknüpfung, dann hat der Handelnde die Handlung nicht direkt verursacht, oder die Verknüpfung wäre nur zufällig zustande gekommen. In diesem Fall könnte er aber für die Handlung nicht moralisch verantwortlich gemacht werden.

Ich hoffe, die grundlegende Differenz zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten damit klar gemacht zu haben. Während sich die Kompatibilisten auf die Verbindung zwischen Handelndem und Handlung konzentrieren, vergessen sie das Problem des für absolute Willensfreiheit notwendigen unabhängigen „Wollen könnens, was ich will“. Die Inkompatibilisten dagegen akzeptieren zumeist die von den Kompatibilisten vorgetragene Handlungsfreiheit, sind aber überzeugt, dass damit das grundlegende Problem, ob wir einen freien Willen haben, nicht gelöst ist, vielmehr, das Problem gar nicht berührt wird.

Pessimisten stimmen mit den Inkompatibilisten darin überein, dass die Kompatibilisten das grundlegende Problem nicht angehen. Mit den Kompatibilisten stimmen sie überein, dass die Welt determiniert sein muss und dass die von ihnen vorgeschlagenen Formen von freiem Willen (also z.B. Freiheit von Zwang) die einzig möglichen, ohne Selbstwidersprüche formulierbaren Freiheiten sind. Sie differieren aber von beiden in der Frage, ob absolute metaphysische Freiheit und moralische Verantwortung möglich seien. Sie sind sogar überzeugt davon, dass bewiesen werden kann, dass diese nicht möglich seien und glauben, dass somit die Frage nach Willensfreiheit definitiv gelöst ist: in einem metaphysisch-ontologischen Sinne sind wir nicht willensfrei. Aus dieser Haltung kann einerseits ein radikaler Fatalismus folgen, oder auch die Erkenntnis, dass die Aufgabe der absoluten Willensfreiheit nicht relevant sei, da kompatibilistische Freiheiten für unser Freiheitsgefühl faktisch genügten, wie ich in Kapitel 3.5 darlegen werde.

3.3 Inkompatibilismus

3.3.1 Peter Van Inwagen

Einer der intensivsten und bekanntesten Verfechter des Inkompatibilismus ist Peter Van Inwagen. Er versucht in seinen Schriften sein Hauptargument wieder und wieder zu formulieren, um damit den Kompatibilisten endlich klar zu machen, dass absolute Willensfreiheit mit Determinismus nicht vereinbar sein kann. Dabei argumentiert er zum Teil sehr abstrakt und mithilfe komplizierter logischer Überlegungen21, sein Grundgedanke leuchtet aber den meisten in der Einleitung erwähnten „Laien“ intuitiv ein: absolute Willensfreiheit und Determinismus können nicht kompatibel sein. Um seinen Gedankengängen folgen zu können, möchte ich kurz auf ein Argument von ihm eingehen, wobei er sich als Einleitung für das Argument darüber erstaunt, dass es kaum Inkompatibilisten gebe, da ihre Argumente doch so einfach und einleuchtend seien:

If determinism is true, then our acts are the consequences of the laws of nature and events in the remote past. But it is not up to us what went on before we were born, and neither is ist up to us what the laws of nature are. Therefore, the consequences of these things (including our present acts) are not up to us.“22

Die Stärke Van Inwagens ist es, solche für mich allerdings absolut einleuchtenden Argumente zu formulieren, warum absolute Willensfreiheit und Determinismus nicht kompatibel sind. Soweit stimmt er mit den Pessimisten überein, doch ist für ihn eine Welt ohne Willensfreiheit ebenso unvorstellbar wie der Determinismus, er kann es regelrecht nicht fassen, dass es Menschen gibt, die die Vorstellung des freien Willens ablehnen.23 Mit diesen für Van Inwagen evidenten Prämissen können wir auf einfache Weise seine Haltung in der Willensfreiheitsdebatte deduzieren:

  1. Unsere Welt ohne absoluter Willensfreiheit ist nicht denkbar

  2. Absolute Willensfreiheit und Determinismus sind nicht kompatibel

also muss der Determinismus in unserer Welt falsch sein

also muss der Indeterminismus in unserer Welt wahr sein

Mit diesen Prämissen ist das Argument gültig. Van Inwagen unterlässt es aber leider zu zeigen, wie ein Indeterminismus einerseits mit Willensfreiheit, andererseits mit unseren empirischen Beobachtungen kompatibel sein kann. Genau hier werden die Kompatibilisten anfassen und zu zeigen versuchen, dass Indeterminismus in unserer Welt keinen Sinn macht und Willensfreiheit ohne Determinismus schlicht nicht vorstellbar ist. Können sie dies schlüssig zeigen, heisst das, dass Van Inwagens Konklusion falsch ist und somit eine der beiden Prämissen revidiert werden muss.

3.3.2 Roderick Chisholm

An einer ganz anderen Stelle setzt Roderick Chisholm an. Er versucht zu zeigen, dass der Mensch ein erster Beweger ist, dass für Willensfreiheit im für moralische Verantwortung relevanten Sinn etwas in unserem ICH unverursacht sein muss:

Aber wenn ein Mensch verantwortlich für eine einzelne Tat ist, dann gibt es, vorausgesetzt, was ich gesagt habe, ist wahr, ein Ereignis oder eine Menge von Ereignissen, die nicht durch andere Ereignisse oder Zustände verursacht sind, sondern durch den Menschen selbst, durch den Handelnden, wie immer er beschaffen sein mag.“24

Damit hätten wir ein Privileg, das einige nur Gott zuschreiben würden, wir seien unverursachte Verursacher, unbewegte Beweger. Chisholm bezieht sich dabei auf Kant, der von einer notwendigen „Causalität durch Freiheit“25 spricht. Freiheit sei das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, ohne dabei verursacht zu sein.26 Dem stellt er das Kausalgesetz gegenüber, die „Causalität nach der Natur“27.

Während Kant die beiden Arten von Kausalität parallel laufen lässt und betont, dass einzig gezeigt werden könne, „dass Natur der Causalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite“,28 versucht Chisholm zu zeigen, wie ein Mensch unverursacht eine Wirkung verursachen könne. Ich möchte auf seine Argumentationsweise nicht näher eingehen, da ich sie absolut unplausibel finde und nur kurz darauf hinweisen, weshalb seine Idee, den Menschen als unverursachten Verursacher darzustellen, meiner Meinung nach prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist.29

Es geht mir dabei um das bereits angedeutete Problem, dass in einem Indeterminismus keine absolute Kausalität vorherrschen kann. Der Versuch Wahrscheinlichkeiten an die Stelle der Kausalität zu setzen muss scheitern, da auch Wahrscheinlichkeiten Kausalität implizieren.30 Somit bleibt nur absoluter Zufall definiert als Unverursachtheit übrig. Wenn aber der Wille unverursacht, die Welt also indeterministisch ist (wie es Chisholm möchte), kann der Wille auch die Handlung nicht verursachen, weshalb er für die Handlung nicht verantwortlich gemacht werden kann. Damit ist jedoch sein beabsichtigtes Ziel verfehlt.31

3.4 Kompatibilismus

3.4.1 David Hume

Als Begründer eines „modernen“ Kompatibilismus gilt David Hume. Sein Anspruch ist es, darzulegen, dass die Willensfreiheitsdebatte eigentlich gar nicht existiert:

Aus dem blossen Umstand, dass eine Kontroverse lange in Gang gehalten wurde und noch unentschieden ist, dürfen wir annehmen, dass hier eine terminologische Vieldeutigkeit vorliegt und dass die Streitenden verschiedene Vorstellungen mit den in der Kontroverse gebrauchten Ausdrücken verbinden.“32

Als die zwei zentralen Begriffe sieht er „Freiheit“ und „Notwendigkeit“. Ohne Notwendigkeit würde die Relation von Ursache und Wirkung der Menschheit völlig unbekannt sein. Nicht nur die Natur herrsche nach diesem Prinzip, sondern auch der Mensch:

Will der Philosoph konsequent sein, muss er die gleiche Begründung auf Handlungen und Willensakte vernünftiger Wesen anwenden. Die unregelmässigsten und unerwartetsten Entschlüsse der Menschen können oft von denen verstanden werden, die jede Einzelheit ihres Charakters und ihrer Situation kennen.“33

Er bringt das Beispiel eines Gefangenen, der die Unmöglichkeit seiner Flucht gleichsam aufgrund der Gefängnismauern als auch aufgrund der Festigkeit und Pflichttreue seiner Wächter einsieht.34 Das heisst nicht, dass die Flucht nicht doch möglich werden kann – die Mauer könnte einbrechen, die Wächter ihn unter Drogeneinfluss freilassen, aber das eine ist nicht wahrscheinlicher als das andere und beides würde durch Ursachen (z.B. Erdbeben, Drogen) notwendig geschehen. Willensentscheidungen seien also genauso verursacht wie die uns umgebenden empirischen Ereignisse.35 Hume glaubt, dass in dieser Hinsicht nie ein Streit bestanden habe und alle Menschen bisher stets einer Meinung gewesen seien.36

Freiheit sieht Hume als Gegenteil von Notwendigkeit, weshalb sie dasselbe sei wie Zufall, der allgemein für nichtexistent gelte.37 Freiheit als Gegenteil von Notwendigkeit sei demnach ebenso unmöglich und ein solcher Freiheitsbegriff mache sowieso keinen Sinn:

Nach dem Prinzip, das die Notwendigkeit und folglich die Ursachen leugnet, ist somit ein Mensch, nachdem er das scheusslichste Verbrechen begangen hat, ebenso rein und makellos wie im ersten Augenblick seiner Geburt; auch sein Charakter hat mit seinen Handlungen in keiner Weise etwas zu tun, da diese ja nicht aus ihm entstehen, und die Verruchtheit der einen kann niemals als Beweis der Verderbtheit des anderen dienen.“38

Diesem Argument sind wir nun wiederholt begegnet (der Mensch kann tun, was er will...) und Hume benutzt es, um zu zeigen, dass ein inkompatibilistischer, absoluter Freiheitsbegriff keinen Sinn macht. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kompatibilisten sieht Hume, dass damit Freiheit in einem für die Metaethik relevanten Sinn nicht möglich ist:

So kann man z.B. sagen, dass es, wenn Willenshandlungen denselben Gesetzen der Notwendigkeit unterliegen wie die Verhaltensweisen der Materie, eine fortlaufende Kette im voraus angeordneter und vorherbestimmter notwendiger Ursachen gibt, die von der ersten Ursache aller Dinge bis zu jeder einzelnen Willensregung jedes einzelnen Menschen reicht. Nirgendwo in der Welt Zufall; keine Unbestimmtheit; keine Freiheit. Als Handelnde sind wir zugleich Behandelte.“

Hume gesteht also ein, dass absolute Freiheit (wie sie auch von den Inkompatibilisten verstanden wird) nicht möglich ist in einem Determinismus. Diese Erkenntnis wird für die Beantwortung unserer Fragestellung zentral sein, weshalb ich zur Verdeutlichung noch einen weiteren Ausschnitt zitieren werde:

Menschliche Handlungen können deshalb niemals moralisch schlecht sein, da sie von einer so guten Ursache kommen; oder sind sie schlecht, so verwickeln sie den Schöpfer in dieselbe Schuld, da er anerkanntermassen die letzte Ursache und der Urheber derselben ist. So wie ein Mensch, der eine Mine anzündet, in gleicher Weise für die Folgen einstehen muss, mag der Zündfaden lang oder kurz gewesen sein, ebenso muss beim Dasein einer fortlaufenden Kette nothwendiger Ursachen das endliche oder unendliche Wesen, welches die erste Ursache bildet, auch als der Urheber der übrigen gelten und sowohl den Tadel tragen, als das Lob erhalten, das ihnen gebührt.39

Damit gesteht Hume zusätzlich ein, dass der Mensch in einem absoluten Sinn nicht nur nicht willensfrei, sondern auch nicht moralisch verantwortlich für seine Taten sein kann.

Hume zeigt aber auch, dass es einen relevanten Freiheitsbegriff gibt, der mit dem Determinismus vereinbar ist (z.B. die Freiheit von Zwang oder die politische Freiheit). Dieser Begriff stimmt mit demjenigen überein, den ich in Kapitel 2.2 als relative Willensfreiheit definiert haben.

Im obigen Zitat anerkennt Hume zudem wie selbstverständlich, dass ein Mensch, der eine Mine anzündet, zur Rechenschaft gezogen wird, er also faktisch moralisch verantwortlich ist (oder zumindest als moralisch verantwortlich behandelt wird), obwohl Hume im selben Abschnitt gezeigt hat, dass der Mensch für seine Handlungen in einem absoluten Sinn nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Auf diesen Widerspruch werden wir in Kapitel 3.5 zurückkommen und dort zeigen, wie er sich vermeiden lässt.

3.4.2 Harry G. Frankfurt

Der heutige Kompatibilismus ist meiner Meinung nach deutlich hinter Humes Darstellung zurückgefallen. Es wird viel geschrieben, doch nur die wenigsten scheinen den Unterschied zwischen absoluter und relativer Freiheit zu sehen, geschweige denn das Problem dort anzupacken, wo es weiterhin existiert: Determinismus ist nicht mit absoluter Willensfreiheit zu vereinbaren und somit ist absolute moralische Verantwortung nicht möglich.

Ich möchte dieses Missverständnis der Kompatibilisten jetzt noch an einem letzten Beispiel verdeutlichen und aufzeigen, wie auch zeitgenössische Autoren weiterhin die saubere Bedeutungstrennung zwischen den zwei bisher behandelten Willensfreiheitsbegriffen ignorieren40. Harry G. Frankfurt meint in der Einleitung seines 1969 erschienenen Texts zu diesem Thema:

A dominant role in nearly all recent inquiries into the free-will problem has been played by a principle which I shall call „the principle of alternate possibilities.“... its exact meaning is a subject of controversy, particularly concerning whether someone who accepts it is thereby committed to believing that moral responsibility and determinism are incompatible. Practically no one, however, seems inclined to deny or even to question that the principle of alternate possibilites (construed in some way or other) is true.“41

Damit liegt Frankfurt falsch. Ich werde im folgenden zeigen, dass bereits David Hume gesehen hat, dass Frankfurts Prinzip in einer Hinsicht mit Willensfreiheit kompatibel ist, in einer anderen (derjenigen, um die es zu gehen scheint) aber gerade eben nicht. Zudem werde ich darlegen, weshalb Frankfurts Prinzip nur scheinbar Neues begründet. Trotzdem glaube ich, dass Frankfurts Theorie einen wichtigen Beitrag leistet – jedoch in einer von Frankfurt meiner Meinung nach nicht beabsichtigten Form, wie wir in Kapitel 3.5.2 noch sehen werden.

Vorerst aber möchte ich das „principle of alternate possibilities“ genauer vorstellen:

This principle states that a person is morally responsible for what he has done only if he could have done otherwise.“42

Frankfurt zeigt anhand verschiedener Beispiele, dass dieses Prinzip falsch ist. Ja, er glaubt sogar, dass es ein Fehler ist, zu glauben,

dass jemand nur dann frei handelt, wenn er die Freiheit hat zu tun, was immer er mag, oder dass er nur dann nach seinem freien Willen handelt, wenn dieser Wille frei ist.“43

Würde sich diese Aussage als wahr herausstellen, hätte das scheinbar einen gewaltigen Einfluss auf die Willensfreiheitsdebatte: wenn wir auch nach unserem freien Willen handeln könnten, ohne dass dieser Wille frei ist (so paradox das klingen mag), dann scheint Willensfreiheit durchaus mit der Determinismusthese vereinbar zu sein. Wie begründet Frankfurt nun dieses Prinzip?

Eine Person, nennen wir ihn Black, will, dass eine andere Person, nennen wir ihn Jones, eine bestimmte Handlung ausführt, wobei Jones nichts weiss von Blacks Absicht. Black wartet solange, bis er sich sicher ist, dass Jones anders handeln wird, als es Black will. In dem Moment bedroht er Jones mit solcher Effizienz (oder er manipuliert ferngesteuert sein Gehirn), dass dieser von seinem Wunsch ablässt und sich Blacks Wunsch fügt. Jones konnte also nicht anders handeln, als es Black wollte. Hätte er sich von Anfang an Blacks Willen gemäss verhalten, hätte er so gehandelt, wie Black es wollte. Doch auch seine Auflehnung gegen Blacks Wunsch führte dazu, dass er Blacks Wunsch befolgte.44

Soweit Frankfurts Beispiel. Der Klarheit wegen werde ich es nochmals in eigenen Worten formulieren: Black ist führender Neurochirurg, Jones sein Patient. Bei einer Standarduntersuchung (wir schreiben das Jahr 2079) setzt Black Jones einen kleinen Apparat ins Hirn, ohne Jones davon zu unterrichten. Denn Black hat böses im Sinn: er will den perfekten Mord! Ein paar Tage später trifft es sich, dass Jones sich zusammen mit dem von Black bestimmten Mordopfer (nennen wir ihn Kuntz) auf dem Dach eines Wolkenkratzers befindet. Black wusste, dass Kuntz Jones noch einen grösseren Betrag schuldete und hofft insgeheim, dass Jones sich entschliesst, ihn vom Dach zu stossen. In Variante A) des Arguments entscheidet sich Jones dafür, Kuntz tatsächlich vom Dach zu stossen und er tut es auch. Blacks Wille wird erfüllt, ohne dass er eingreifen muss. In Variante B) entschliesst sich Jones, Kuntz nicht vom Dach zu stossen. Dank des kleinen Apparats in Jones‘ Hirn weiss Black unmittelbar nach Jones‘ Entschluss, dass dieser Kuntz nicht vom Dach stossen wird (will) und drückt den für diesen Fall vorgesehenen Knopf auf seinem Schreibpult: damit verändert er etwas in Jones‘ Hirn, sodass dieser seinen Entschluss zurücknimmt und geradewegs auf Kuntz zugeht und ihn runterstösst. Der perfekte Mord hat geklappt.

Frankfurts Interpretation dieser Beispiele basiert auf der Tatsache, dass Jones sowohl in Variante A) wie auch in Variante B) Kuntz vom Dach stösst. Somit hätte Jones unter diesen Umständen nicht anders handeln können, als er handelte. In Variante A) entschied er sich aber frei dafür, Kuntz vom Dach zu stossen, Black nahm keinerlei Einfluss auf diese Entscheidung. Somit gibt es also Fälle der Überdetermination, wo ein willensfreier Entschluss gefällt wird, obwohl man nicht hätte anders handeln können und somit nicht willensfrei gewesen ist (sofern das principle of alternate possibilities als notwendige Bedingung für Willensfreiheit angeschaut wird). Frankfurts Folgerung daraus lautet, dass Willensfreiheit auch dann möglich sei, wenn man nicht hätte anders handeln können, dass also das principle of alternate possibilities falsch sei.

Auch wenn Harry G. Frankfurt am Ende des Aufsatzes im Widerspruch zu seinen Eingangsworten betont, dass sein Argument für den Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten kaum etwas beiträgt,45 scheint das Argument oft missverstanden und als Hinweis gehandelt zu werden, dass die Kompatibilisten ihrem Ziel, absolute Willensfreiheit und Determinismus zu vereinen, dank diesem Prinzip einen grossen Schritt näher gekommen seien. Doch dem ist mit Sicherheit nicht so. Wiederum basiert das Missverständnis auf der Verwechslung von relativer und absoluter Willensfreiheit:

  1. Es stimmt nicht, dass man aufgrund dieses Arguments den Schluss ziehen kann, dass absolute Willensfreiheit ohne principle of alternate possibilities (PAP) möglich ist. Nur relativ verstandene Willensfreiheit ist ohne PAP möglich, was aber auch von kaum jemandem bestritten wird - speziell nicht von Inkompatibilisten. Diese würden gerade betonen, dass der kompatibilistische, relative Freiheitsbegriff genau deshalb nicht genügt, da er auch ohne PAP funktionieren kann. Sie würden argumentieren, dass das PAP eine notwendige Bedingung ist für den absoluten Freiheitsbegriff. Wenn Frankfurt nun zeigt, dass Willensfreiheit auch ohne PAP möglich sei, dann kann man daraus zwei Schlüsse ziehen: denjenigen von Frankfurt oder eben, dass es sich um ein Scheinargument handelt, da es sich um einen falschen oder irrelevanten Freiheitsbegriff handelt.

  2. Der Grund für das Versagen von Frankfurts Argument in Bezug auf absolute Willensfreiheit liegt darin, dass dazu eine absolut verstandene Wahlmöglichkeit46 bestehen muss: In einem Determinismus war schon zu Anbeginn der Zeiten festgelegt, ob Jones sich dafür entscheiden würde, K vom Dach zu stossen oder nicht, ebenfalls war es schon zu Anbeginn der Zeiten festgelegt, ob Black den Schalter drücken wird oder nicht. Das Argument berührt das Problem der absoluten Willensfreiheit also gar nicht, da weder Jones, noch Black, noch K, noch irgendwer jemals eine unabhängige Wahlmöglichkeit gehabt hat (unabhängig zwischen verschiedenen Propositionen auswählen konnte).

  1. Wenn Jones nicht ursprünglich wählen kann, welche Zukunft er einschlagen wird, weil es in einem Determinismus sowieso nur eine mögliche Zukunft für ihn gibt, dann macht das PAP keinen Sinn, da Jones definitionsgemäss nicht hätte anders handeln können, das PAP also definitionsgemäss falsch ist. Frankfurts Aussage, dass kaum jemand je das PAP in Frage gestellt habe, ist also in Bezug auf absolute Willensfreiheit falsch. In Bezug auf relative Willensfreiheit hat das Argument aber durchaus seine Wichtigkeit, wie wir in Kapitel 3.5.2 noch sehen werden.

  2. Auch die Formulierung, dass es falsch sei, zu glauben, dass jemand nur dann nach seinem freien Willen handle, wenn dieser Wille frei sei,47 trägt zur vorherrschenden Willensfreiheitsdebatte kaum etwas bei. Erstmal macht uns die Formulierung stutzig: Handelt es sich da nicht um einen Selbstwiderspruch? Ich denke, die exaktere Formulierung von Frankfurts Prinzip müsste folgendermassen lauten: Es sei falsch, zu glauben, dass jemand nur dann nach seinem relativen freien Willen handle, wenn dieser Wille absolut frei sei. Der Begriff Willensfreiheit wird also in zwei verschiedenen Bedeutungen benutzt, was das Paradox aufhebt. Mit diesen Zusätzen formuliert Frankfurt nur eine alte Wahrheit: Wir können auch nach unserem relativ verstandenen freien Willen handeln, wenn dieser Wille in absolutem Sinn unfrei ist -. schöner formulieren könnte man die Position des Kompatibilisten wirklich nicht! Nur ist das keine neue Erkenntnis - schon David Hume hat uns das gezeigt.

Ich hoffe mit diesem letzten Beispiel nun definitiv klargemacht zu haben, dass es sich beim Streit zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten um einen Streit um verschiedene Wortdefinitionen handelt. Frankfurts Argument das PAP betreffend habe ich aber auch noch aus einem anderen Grund ausgewählt, da es durchaus seine Berechtigung hat – in anderem Zusammenhang. Bevor wir darauf eingehen können, müssen wir uns aber noch mit der letzten zu behandelnden Theorie auseinandersetzen.

3.5 Ein neuer Ansatz

3.5.1 Peter F. Strawson

Bereits auf der ersten Seite seines Artikels „Freedom and Resentment“ stellt Strawson klar, dass er sich nicht auf die konventionelle Willensfreiheitsdebatte einlassen wird:

I don’t know what the thesis of determinism is“48

schreibt er da. Er stellt in kurzen Worten die unterschiedlichen Bedeutungen von Willensfreiheit dar, um sich danach einem neuen Themengebiet zuzuwenden: den zwischenmenschlichen Gefühlen und Reaktionen. Er beschreibt, wie wichtig diese für Menschen sind und wie sie das Selbstwertgefühl beeinflussen. So empfinden wir Dankbarkeit für jemanden, der uns mit guter Absicht einen Gefallen macht, doch unsere Reaktion auf dieselbe Handlung kann ganz anders ausfallen, wenn wir realisieren, dass der andere den Gefallen nur zufällig oder aus Eigennutz machte. Solche „reactive attitudes“ bestimmen unser Leben und da wir sie tagtäglich erleben, können wir ihnen sicher sein. Auch wenn einige Philosophen sagen mögen, dass Liebe, Groll aber auch moralische Verantwortung nicht existieren sollen, kümmert das den Durchschnittsmenschen wenig, da er ja spürt und somit weiss, dass genau das eben doch existiert.

Wir verhalten uns zum Beispiel (geistig) behinderten Menschen gegenüber ganz anders (in einer „objective attitude“), als gegenüber anderen „normalen“ erwachsenen Personen (in einer „moral attitude“). Während wir ersteren (fast) alles verzeihen und sie für ihre Handlungen nicht moralisch verantwortlich machen, wird die moralische Verantwortung der letzteren nur in wenigen Fällen (z.B. Trunkenheit) grundsätzlich in Frage gestellt. Und das absolut unabhängig davon, dass einige Philosophen meinen, moralische Verantwortung könne nicht existieren. Im Gegenteil würden wir empört sein darüber, wenn ein Auftragsmörder für seine Taten nicht bestraft würde aufgrund des Arguments, dass moralische Verantwortung nicht existiere und somit gleich behandelt würde wie ein von uns als geistig behindert eingestufter Mensch (wobei es durchaus den Fall geben kann, dass wir den Auftragsmörder tatsächlich als geistig behindert einstufen, was aber vom Gericht sorgfältig abgeklärt werden muss).

Die These des Determinismus scheint uns zu zwingen, alle zwischenmenschlichen Beziehungen in einer „objective attitude“ zu betrachten, was bedeuten würde, dass alle Menschen in Bezug auf moralische Verantwortung gleichgestellt würden mit (geistig) Behinderten. Eine solche Annahme widerspricht aber unseren alltäglichen Erfahrungen, weshalb Strawson meint, dass er in diesem Fall lieber seinen Intuitionen und Erfahrungen glaube und konstatieren müsse, dass er nicht verstehe, was die These des Determinismus bedeuten soll (wobei er den Indeterminismus gar nicht in Betracht zieht).

Mit dieser einfachen Argumentation scheint mir Strawson ein riesiger Wurf gelungen zu sein. Er stellt einerseits fest, dass der Determinismus absolute moralische Verantwortung nicht zulässt (also im „Willensfreiheitsstreit“ eine pessimistische Haltung einnimmt), doch anstatt zu resignieren und einen Fatalismus zu propagieren, macht Strawson - meines Wissens als Erster - den einzigen richtigen Schritt und verlässt die überintellektualisierte Debatte. Anstatt darüber zu streiten, ob wir absolut moralisch verantwortlich sind für unsere Taten, ob wir wahre Liebe empfinden können, ob wir wirklich willensfrei sind, stellt er fest, dass er sich für seine Taten moralisch verantwortlich fühlt, wahre Liebe empfindet und sich absolut (!) willensfrei fühlt. Ich denke, dass man in diesem Zusammenhang durchaus von einem pragmatischen Willensfreiheitsbegriff sprechen kann im James’schen Sinne, dass also absolute Werte nicht zählen, solange sie nicht angewandt werden können.49

3.5.2 Harry G. Frankfurt

Zwei Jahre nach seinem bereits besprochenen Aufsatz veröffentlichte Frankfurt einen weiteren Artikel50, der sich meiner Meinung sehr gut eignet, um die „pragmatische“ Sichtweise zu erörtern. Ich werde mich dabei auf ein Beispiel beschränken, das sich auch um das principle of alternate possibilites handelt. Frankfurt beschreibt im Text drei Arten von Süchtigen: den Süchtigen wider Willen, den triebhaften Süchtigen und den willigen Süchtigen. Inkompatibilisten würden betonen, dass wir alle gleich behandeln müssen, da sie ja nicht für ihre Sucht moralisch verantwortlich gemacht werden könnten, da sie nicht absolut willensfrei seien.

Vergessen wir aber die Willensfreiheitsdebatte um Determinismus oder Indeterminismus und lassen uns von Strawsons Gedanken leiten. Egal, ob wir moralisch verantwortlich sind für unsere Taten in einem absoluten Sinn – wir machen die Unterscheidung zwischen den drei Arten von Süchtigen. So würden wir mit dem willigen Süchtigen (dem Junkie, der die Droge nehmen will) kaum Mitleid haben – er ist ja selber schuld - und ihn für seine Handlung absolut verantwortlich machen (Frankfurt kommt genau zum gegenteiligen Resultat!). Den triebhaften Süchtigen würden wir vielleicht bemitleiden, da er sich seiner Sucht gar nicht richtig bewusst ist, sie weder wirklich will, noch wirklich aufhören will, die Droge zu nehmen. Ihm würden wir vielleicht zu helfen versuchen, indem wir ihm regelmässige Unterstützung durch einen Psychologen oder Sozialarbeiter zukommen lassen würden.. Dem Heroinsüchtigen wider Willen aber versuchen wir hier in der Schweiz mit der kontrollierten Abgabe von Heroin zu helfen. Er kann zwar nicht anders handeln als er tut, selbst wenn er es will (die Droge ist sein Black, der krampfhaft auf den Knopf drückt) doch gibt es Hoffnung, dass er Black irgendwann besiegen kann.51

Solche Interpretationen begegnen uns tagtäglich – und sie sind gültig unabhängig davon, ob ein absoluter freier Wille möglich ist, da wir nach ihnen handeln.

4 Sind freier Wille und Determinismus kompatibel?

Meine Intention beim Abfassen dieser Arbeit war es, anhand von diversen mehr oder weniger einflussreichen Texten der Willensfreiheitsdebatte und einigen eigenen Beispielen, das der Debatte zugrundeliegende Problem zu erörtern, das in direktem Zusammenhang steht zur Fragestellung dieser Arbeit: Sind freier Wille und Determinismus kompatibel? Ich hoffe mit meinen Ausführungen verständlich gemacht zu haben, weshalb die Fragestellung weder mit einem klaren „Ja“, noch einem klaren „Nein“ beantwortet werden kann:

  • aus der Sicht der Inkompatibilisten, die sich auf einen absoluten Willensfreiheitsbegriff stützen, sind (absoluter) freier Wille und Determinismus nicht kompatibel (deshalb ja auch „Inkompatibilismus“). Sie gestehen durchaus zu, dass es relative Willensfreiheitsbegriffe wie Freiheit von Zwang oder politische Freiheit gibt, die mit einem Determinismus kompatibel sind, diese seien aber für die geführte Debatte irrelevant, da sie uns nicht helfen würden wahre oder absolute moralische Verantwortung zu begründen, wie sie für eine metaethisch-philosophische Rechtfertigung von Moral, Recht oder Religion notwendig sei.

  • die Kompatibilisten gehen kaum je auf den Begriff der absoluten Willensfreiheit ein, was kaum erstaunt, da ein solcher definitionsgemäss nicht mit dem Determinismus kompatibel ist. Sie betonen dagegen, dass Handlungsfreiheit eine notwendige Bedingung für wahre oder absolute moralische Verantwortung sei, eine solche aber nur in einem Determinismus Sinn mache. Zudem gebe es in einem Determinismus durchaus relevante Freiheiten: so sei ein Gefangener weniger frei als eben ein „freier Mensch“, so gebe es Menschen, die politische Freiheiten geniessen, während andere in einer Diktatur leben. Relative Willensfreiheit sei also durchaus mit einem Determinismus kompatibel.

Meiner Meinung nach haben die Inkompatibilsten recht mit ihrer Feststellung, dass ein für die metaethische Debatte relevanter Willensfreiheitsbegriff mit einem Determinismus nicht kompatibel ist. Ich bin aber ebenso überzeugt, dass er mit einem Indeterminismus ebensowenig kompatibel ist, weshalb ich für die pessimistische Variante plädiere: ja ich bin sogar überzeugt, dass bewiesen werden kann, dass Willensfreiheit und moralische Verantwortung in einem absoluten, metaethisch relevanten Sinn nicht mit unserer Welt kompatibel sind, wenn wir uns innerhalb unseres logischen Systems bewegen.

Die Konsequenz des Eingeständnisses, dass wir in einem metaethischen Sinne moralisch nicht verantwortlich sind für unsere Handlungen, erscheint vielen als Schreckensvorstellung. Somit kann es also auch keine absolute Gerechtigkeit geben, da wir für Handlungen moralisch verantwortlich gemacht werden, für die wir nicht moralisch verantwortlich sind. Der Schrecken kann dieser Vorstellung aber auf einfache Art und Weise genommen werden – indem wir die Problematik mit Peter F. Strawsons Vorschlag betrachten, den ich die „pragmatische“ Sichtweise genannt habe: Solange wir fühlen, dass wir freie Entscheidungen treffen, genügt das dafür, dass wir auch einverstanden sind, wenn wir dafür zur Verantwortung gezogen werden.

5 Glossar

  • absolute Willensfreiheit: Absolute Willensfreiheit ist eine notwendige Bedingung für die metaethische Begründung von moralischer Verantwortung. Sie entspricht hauptsächlich dem von den Inkompatibilisten eingenommenen Standpunkt, da sie zumindest einen zum Teil unverursachten Willen voraussetzt52. Es gibt nur eine absolute Willensfreiheit.

  • relative Willensfreiheit: Relative Willensfreiheit ist für die metaethische Begründung von moralischer Verantwortung ohne Relevanz. Sie entspricht hauptsächlich dem von den Kompatibilisten eingenommenen Standpunkt und ist unbestrittenermassen mit dem Determinismus kompatibel. Beispiele von relativer Willensfreiheit sind Handlungsfreiheit (Kapitel 3.2.1), Freiheit von Zwang oder politische Freiheit. Der Begriff der relativen Willensfreiheit ist mehrdeutig.

  • pragmatische Willensfreiheit: Willensfreiheitsbegriff einiger Pessimisten, der die Möglichkeit von absoluter Willensfreiheit verneint, jedoch davon ausgeht, dass dieser für das Leben irrelevant ist, da im Leben nur das Empfundene zählt. Wird Willensfreiheit empfunden, ist es egal, wenn Willensfreiheit absolut gesehen unmöglich ist

  • Determinismus: Lehre von der Vorbestimmtheit alles zukünftigen Geschehens aufgrund von kausalen Zusammenhängen

  • PAP: Principle of alternate possibilities – Prinzip der alternativen Möglichkeit („Hätte anders handeln können...). Notwendige Bedingung für den absoluten Willensfreiheitsbegriff, nicht jedoch für den relativen.

  • Kompatibilismus: starke Variante: Lehre von der Vereinbarkeit von absoluter
    Willensfreiheit und Determinismus
    schwache Variante: Lehre von der Vereinbarkeit von relativer
    Willensfreiheit und Determinismus

  • Inkompatibilismus: Lehre von der Unvereinbarkeit von absoluter Willensfreiheit und Determinismus – also der Vereinbarkeit von absoluter Willensfreiheit und Indeterminismus

  • Pessimismus: Lehre von der Unmöglichkeit eines absoluten Willensfreiheitsbegriff in einer deterministischen Welt

6 Bibliographie

Ayer, Alfred Jules. Freedom and necessity. In: Gary Watson (Ed.). Free Will. New York 1982.

Chisholm, Roderick. Die menschliche Freiheit und das Selbst. In: Ulrich Pothast (Hg.). Seminar: Determinismus und freies Handeln. Frankfurt am Main 1978.

Dennett, Daniel Clement. Ellenbogenfreiheit: Die wünschenswerten Formen von freiem Willen. Frankfurt am Main 1984.

Frankfurt, Harry G. Alternate Possibilities and Moral Responsibility. In: Journal of Philosophy 65 (1969). S. 829-839.

Frankfurt, Harry G. Willensfreiheit und der Begriff der Person. In: Peter Bieri (Hg.). Analytische Philosophie des Geistes. Königstein, Hain 1981.

Hügli, Anton, Poul Lübcke (Hg.). Philosophielexikon. Reinbek bei Hamburg 1997.

Hume, David. Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Stuttgart 1994. Achter Abschnitt: Über Freiheit und Notwendigkeit. S. 106-134.

Inwagen, Peter Van. An essay on free will. Oxford 1983.

Inwagen, Peter Van. Die Unvereinbarkeit von freiem Willen und Determinismus. In: Ulrich Pothast (Hg.). Seminar: Determinismus und freies Handeln. Frankfurt am Main 1978.

James, William. Der Pragmatismus. Hamburg 1994.

Kant, Immanuel. Kritik der reinen Vernunft. Köln 1995. Der Antinomie der reinen Vernunft Dritter Widerstreit der transscendentalen Ideen. S. 390-397.

Putnam, Hilary. Vernunft, Wahrheit und Geschichte. Frankfurt am Main 1980.

Schopenhauer, Arthur. Preisschrift über die Freiheit des Willens. In: ders. Kleinere Schriften: Sämtliche Werke Band III. Hg. Wolfgang Freiherr von Löhneysen. Stuttgart 1998.

Strawson, Galen. Luck Swallows everything. http://world.std.com/~twc/strawson.htm. (nicht mehr aktuell)

Strawson, Peter F. Freedom and Resentment. In: Ders. Freedom and Resentment. London 1974. S. 1-25.

1 Wobei wir wohl Daniel C. Dennett rechtgeben müssen: „Die meisten Menschen – 99 Prozent und noch mehr, zweifellos – waren und sind immer zu beschäftigt damit, am Leben zu bleiben und sich in schwierigen Umständen durchzuschlagen, als dass sie Zeit fänden oder Lust hätten, sich mit Willensfreiheit auseinanderzusetzen.“ Dennett, 1984. S. 15.

2 Auf die Problematik, dass ich durch gewisse Gründe beinahe gezwungen werde, die Arbeit zu schreiben, kann ich hier nicht eingehen.

3 Zumindest für die Kompatibilisten scheinen diese beiden Grundsätze absolut unhintergehbar zu sein. Die Gegensätzlichkeit ist klar dargestellt in „Der Antinomie der reinen Vernunft Dritter Widerstreit der transcendentalen Ideen“ in Kant, 1995. S. 390-397.

4 Ich werde diesen Begriff in Kapitel 2.2 definieren.

5 Vgl. dazu Kant, 1995. S. 390-397.

6 Vgl. dazu Dennett, 1984. S. 17.

7 Inwagen, 1978. S. 248. Vgl. dazu auch Inwagen, 1983.

8 Z.B. Hügli, 1997. S. 146.

9 Hügli, 1997. S. 382.

10 Hume, David. Über den menschlichen Verstand. Hamburg 1976. II, Kap. 21, § 50. Zit. in: Dennett, 1984. S. 35.

11 Chisholm, 1978. S. 71.

12 Das Subjekt A entscheidet sich, den Papst zu töten und vollzieht seinen Entschluss. Wenn zwischen dieser Entscheidung und der Handlung keine kausale Beziehung besteht, kann aber A nicht für den Mord verantwortlich gemacht werden, da die Handlung nicht durch seinen Entschluss verursacht wurde.

13 Hume, 1994. S. 124.

14 Von Kompatibilisten wird oft die Unterscheidung zwischen Verursachung des Willens und Verursachung der Handlung durch den Willen nicht gemacht, die im zu behandelnden Streit absolut zentral ist. Vgl. dazu Kapitel 3.2 und auch Schopenhauer, 1998. S. 563, 565.

15 Ich werde auf diesen Punkt wiederholt eingehen und ihn noch näher erklären. Ich bin mir bewusst, dass diese Formulierung als petitio principii erscheinen mag, da damit definitionsgemäss absolute Willensfreiheit und Determinismus nicht kompatibel sind. Ich würde aber umgekehrt argumentieren, dass diese Formulierung unserer Intuition (sowohl derjenigen der meisten Philosophen als auch derjenigen der „Laien“) entspricht und somit tatsächlich Determinismus definitionsgemäss nicht mit absoluter Willensfreiheit übereinstimmt, womit die dieser Arbeit zugrundeliegende Debatte eigentlich abgeschlossen zu sein scheint. Dass diese Sichtweise vertretbar ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass namhafte Vertreter der Philosophie diese Definition voll unterstützten würden – so zum Beispiel sicherlich David Hume, der „Vater“ des modernen Kompatibilismus (vgl. dazu Kapitel 3.4.1).

16 Die einzigen Autoren mit pessimistischen Argumenten, die mir bekannt sind, sind Albert Camus (Mythe de Sisyphe), Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer und Galen Strawson, dessen äusserst interessanten Artikel ich im Internet finden konnte (vgl. Bibliographie).

17 Schopenhauer, 1998. S. 565.

18 Damit will ich nicht sagen, dass speziell im Kompatibilismus durchaus viele Fortschritte erzielt wurden, diese drehen sich aber nicht um das hier behandelte Problem!

19 Schopenhauer, 1998. S. 363.

20 Schopenhauer hätte das aber sicher nicht gesagt, da für ihn ein unverursachter Wille nicht plausibel ist – vgl. Zitat am Anfang des Abschnittes.

21 Vgl. z.B. Inwagen, 1978. Das dort gebrachte Argument ist für mich offensichtlich gültig in Bezug auf absolute Willensfreiheit.

22 Inwagen, 1983. S. 16.

23 Inwagen, 1983. S. 153.

24 Chisholm, 1978. S. 76.

25 Kant, 1995. S. 390.

26 Kant, 1995. S. 455.

27 Kant, 1995. S. 455.

28 Kant, 1995. S. 474.

29 Chisholm, 1978. S. 79. Chisholm meint, „dass der Begriff der Verursachung durch einen Handelnden klarer ist als der der Verursachung durch ein Ereignis...“. Er erklärt aber nicht, warum der unverursachte Verursacher für einen Willensentscheid verantwortlich sein soll, den er nicht begründen kann. (Ja, ich habe den Mann erschossen, kann Dir aber nicht sagen warum, es gab keine Ursache dafür und ich kann Dir auch keine Gründe angeben...)

30 Eine Wahrscheinlichkeit, die nur wahrscheinlich wahrscheinlich ist, ist ein leerer Begriff. Es würde zu weit führen, dieses sehr komplexe Argument darzulegen, ich möchte hier nur kurz auf die Chaostheorie verweisen, die zeigt, dass selbst das chaotischste beobachtbare Phänomen kausal erklärt werden kann, ja werden muss.

31 Ist demnach nach der Theorie des unverursachten Verursachers der Verursacher willensfrei und trotzdem nicht verantwortlich für seine Handlungen? Eine spannende Frage, die ich hier aber nicht zu beantworten brauche, da sie einerseits nicht direkt mit unserer Fragestellung zu tun hat, andererseits meiner Meinung nach für unsere Welt keine Relevanz hat, da ich (und mit mir der grösste Teil der Wissenschaft) davon ausgehe, dass wir in einer deterministischen Welt leben, in der unverursachte Verursacher nicht denkbar sind.

32 Hume, 1994. S. 106.

33 Hume, 1994. S. 115.

34 Hume, 1994. S. 118.

35 In der modernen Philosophie des Geistes gibt es Strömungen, dass ein descartescher Dualismus nicht existiert, womit die Unterscheidung zwischen res cogitans und res extensa hinfällig wird und das Problem eliminiert ist. Vgl. dazu Putnam, 1990. S. 120.

36 Hume, 1994. S. 117.

37 Hume, 1994. S. 125.

38 Hume, 1994. S. 128.

39 Hume, 1994. S. 129f.

40 So z.B. A.J. Ayer: „...that freedom is contrasted with causality: so that a man cannot be said to be acting freely if his action is causally determined.“ (also absolute WF). Der übernächste Satz: „I shall try to show that from the fact that my action is causally determined it does not necessarily follow that I am constrained to do it: and this is equivalent to saying that it does not necessarily follow that I am not free.“ wobei er damit eindeutig relative Freiheit meint. Ayer, 1982. S. 19.

41 Frankfurt, 1969. S. 829.

42 Frankfurt, 1969. S. 829.

43 Frankfurt, 1981. S. 299.

44 Frankfurt, 1969. S. 836f.

45 Frankfurt, 1969. S. 838. „It may be noted that this revision of the principle does not seriously affect the arguments of those who have relied on the original principle in their efforts to maintain that moral responsibility and determinism are incompatible. For if it was causally determined that a person perform a certain action, then it will be true that the person performed it because of those causal determinations.“

46 Vgl. dazu Kapitel 2.2.

47 Frankfurt, 1981. S. 299.

48 Strawson, 1974. S. 1.

49 James, 1994. Z.B. S. 47: „Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass es Ihnen recht seltsam vorkommt, wenn Sie mich sagen hören, ein Gedanke sei so lange wahr, als der Glaube an ihn für unser Leben nützlich ist.“

50 Frankfurt, 1981. Erstpubliziert wurde der Text im Journal of Philosophy Nr. 68 vom Januar 1971.

51 Daniel C. Dennett betont, dass man an Stelle des Neurochirurgen einfach einen Hirntumor setzen kann und das Blackbeispiel seinen Schrecken verliert. Das passiert auch in der pragmatischen Interpretation. Dennett, 1984. S. 19f.

52 Ich werde auf diesen Punkt wiederholt eingehen und ihn noch näher erklären. Ich bin mir bewusst, dass diese Formulierung als petitio principii erscheinen mag, da damit definitionsgemäss absolute Willensfreiheit und Determinismus nicht kompatibel sind. Ich würde aber umgekehrt argumentieren, dass diese Formulierung unserer Intuition (sowohl derjenigen der meisten Philosophen als auch derjenigen der „Laien“) entspricht und somit tatsächlich Determinismus definitionsgemäss nicht mit absoluter Willensfreiheit übereinstimmt, womit die dieser Arbeit zugrundeliegende Debatte eigentlich abgeschlossen zu sein scheint. Dass diese Sichtweise vertretbar ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass namhafte Vertreter der Philosophie diese Definition voll unterstützten würden – so zum Beispiel sicherlich David Hume, der „Vater“ des modernen Kompatibilismus (vgl. dazu Kapitel 3.4.1).