Persönliche Erfahrungen und Krankheitsgeschichten prägen die eigene Einstellung zu den Parawissenschaften.

Foto: derstandard.at/von usslar

Daher sei es auch falsch, nur rational über diesen Glauben zu diskutieren, sagt die Psychologin Ulrike Schiesser: "Ohne Emotionen geht es nicht, das ist eine Illusion."

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"Man kann nicht für Parawissenschaften sein, ohne die wissenschaftliche Methode zu kritisieren", sagt Martin Moder - ...

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... der aber auch zugibt, selbst "Ideen nachgehangen zu sein, von denen ich heute weiß, dass sie falsch waren".

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Ein negatives Erlebnis, wie etwa eine falsche Diagnose beim Arzt, merkt sich der Mensch mehr als alle vorherigen positiven. "Es ist nicht fair, nicht gerecht, nicht logisch – aber wir Menschen funktionieren so", sagt Schiesser.

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Warum Parawissenschafter die besseren Pädagogen sind, der Mensch nach Mustern im Chaos sucht und was es mit fliegenden Teppichen auf sich hat, erklären die Psychologin Ulrike Schiesser und Martin Moder, Naturwissenschaftler und aktiver User in den Foren von derStandard.at, im gemeinsamen Gespräch.

derStandard.at: Ob Schüßlersalze, Wünschelruten oder Quantenheilung - sobald es um parawissenschaftliche Themen geht, wird es rasch emotional. Warum?

Moder: Ob man an Parawissenschaften glaubt oder nicht, hat sehr viel mit der eigenen Geschichte zu tun. Ich bin einmal mit einer Blutvergiftung im Spital gelegen und habe intravenös Antibiotika bekommen. Hätte mir damals jemand eingeredet, es ginge sanfter und effektiver mit Schüßlersalzen, dann wäre ich heute vielleicht nicht mehr da. Es gibt andere Leute mit ähnlich subjektiven Erfahrungen in den Parawissenschaften. 

Schiesser: Es geht um ganz persönliche Weltanschauungen - wenn es da eine Aussage gibt, die als Kritik aufgefasst wird, wird das ganz schnell als Kritik an der eigenen Person aufgefasst. Man kann über Parawissenschaften nicht ohne Emotionen diskutieren, das ist eine Illusion. 

Moder: Persönliche Angriffe kann man aber sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern vorwerfen - es bleibt leider nicht bei rationalen Argumenten. Es ist sehr wichtig, dass man jene, die an Parawissenschaften glauben, keinesfalls als naiv oder leichtgläubig abstempelt, das wäre falsch. Stattdessen sollte man versuchen zu erfahren, warum sie zum Beispiel an Heilung durch Schüßlersalze oder den Ausschlag einer Wünschelrute glauben. Dann den Dialog zu suchen und zu erklären, woher das kommt, ohne übernatürlichen Phänomene annehmen zu müssen. 

derStandard.at: Herr Moder, Sie sind ja im Forum von derStandard.at als Poster sehr aktiv. Wie haben Sie die Diskussion empfunden?

Moder: Ich habe oft gelesen, dass andere Diskutanten im Forum das verzerrte Bild von konservativen, alten Wissenschaftern haben, die prinzipiell alles ablehnen, was nicht in ihr Weltbild passt - es mag solche geben, aber prinzipiell sind Wissenschaftler Menschen, die bereit sind, die absurdesten Theorien zu akzeptieren: etwa dass ein Teilchen gleichzeitig an zwei Orten sein kann. Das Einzige, was sie verlangen: Die Theorien müssen kritischen Überprüfungen standhalten - und das sind Kriterien, die die Parawissenschaftler nicht anwenden. Da reicht ein Bauchgefühl, eine Eingebung als Begründung. Ich kann also prinzipiell nicht für Parawissenschaften argumentieren, ohne die wissenschaftliche Methode zu kritisieren.

derStandard.at: Wird da nicht schnell auch "Wissenschaftshörigkeit" vorgeworfen?

Moder: Der Vorwurf kommt immer wieder, wenn man Parawissenschaften kritisiert. Da wird dann gesagt, dass der Skeptizismus nichts anderes als Wissenschaftsglaube sei, nach dem Motto: Man glaubt an Wissenschaft, weil das der Wissenschaftler sagt. Aber der Wissenschaftler als Rationalist macht nichts anderes, als für aufgestellte Behauptungen belastbare Belege zu fordern. Wissenschaftler sind durch wiederholbare Experimente zu ihren Erkenntnissen gekommen. Und das ist das Gegenteil von Glauben. Einen Glauben akzeptiere ich, weil ich es eben glaube, ein Wissenschaftler verlangt einen Beweis dafür. 

Schiesser: Wissenschaft hat für viele etwas sehr Abstraktes. Das kritische und wissenschaftliche Denken wird derzeit zu wenig gefördert. Freude am Forschen und Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Fragestellungen sollte verstärkt schon ins Schulsystem integriert werden.

Moder: Und weil das Verständnis für Wissenschaft fehlt, kommt die Idee der "Wissenschaftsgläubigkeit" auf. Sobald man aber versteht, wie Wissenschaft funktioniert, erledigen sich viele Fragen in den Parawissenschaften.

derStandard.at: Was steckt hinter dem Glauben an Übersinnliches?

Schiesser: Menschen suchen häufig nach Sicherheit und Sinn in einer Welt, die aus vielen unüberschaubaren und zufälligen Ereignissen zu bestehen scheint. Wir versuchen alles in ein logisches System zu bringen, in dem wir uns besser zurechtfinden können. Wir suchen ständig nach Mustern im Chaos und bauen aus diesen Mustern ein sinnstiftendes Gebäude. Für manche ist die Existenz einer wohlwollenden Kraft, die Geborgenheit vermittelt, wichtig. Manche suchen nach Erklärungsmodellen die die Welt überschaubarer machen und die Illusion von Kontrolle vermitteln: "Weil die Sternzeichen nicht zusammenpassen, ist die Beziehung gescheitert."

Moder: Menschen können ja allein aufgrund ihrer limitierten kognitiven Fähigkeit die Welt gar nicht in ihrer vollständigen Komplexität begreifen, es ist daher absolut unumgänglich, dass wir Vereinfachungen treffen. Aber sind es Vereinfachungen, aus denen sich sinnvolle Handlungsweisen ableiten, oder welche, die in einer logischen Sackgasse enden - wie es bei den Parawissenschaften oft der Fall ist?

Schiesser: Sackgassen haben auch etwas Kuscheliges. Wenn man die Komplexität mitdenken möchte, ist das anstrengend. Vereinfachungen stärken das Gefühl von Sicherheit und geben Orientierung. Es ist angenehm, Entscheidungshilfen für das Leben zu haben, klare Handlungsanweisungen: "Ihr Baby hat Schmerzen, weil es seine Zähne bekommt? Hängen Sie ihm eine Bernsteinkette um, und es wird besser." Wir haben gerne einfache Lösungen für alle Probleme.

Moder: Ich weiß von mir, dass ich Ideen angehangen bin, von denen ich heute weiß, dass sie falsch waren. Kein Mensch ist zu hundert Prozent rational, und das ist vollkommen in Ordnung. Jeder von uns glaubt an irgendwelche Dinge, die sicherlich nicht zutreffen. Problematisch wird es erst, wenn daraus ein riesiges Geschäft gemacht wird oder medizinische Handlungen daraus abgeleitet werden. 

derStandard.at: Jetzt ist aber unser Leben sehr stark verwissenschaftlicht. Wieso spielen da übernatürliche Phänomene immer noch so eine große Rolle?

Schiesser: Die Wissenschaft hat in den 1960er-Jahren für viel Optimismus gesorgt, sie hat unsere Lebensqualität erheblich verbessert - und dann kamen beispielsweise Atomkraftunfälle. Die Wissenschaft hat für viele ihren Glanz verloren - als die Kraft, die alle Probleme der Welt löst.

Moder: Außerdem ist die Technologie so kompliziert geworden, dass man sie als Einzelperson nicht mehr verstehen kann. Wenn ich nicht weiß, wie die Geräte funktionieren, muss ich zunächst den Spezialisten vertrauen. Und da sind Parawissenschaftler häufig die besseren Pädagogen, weil sie vielleicht nicht logischer, aber emotional mitreißender erklären können. Die Parawissenschaften liefern mir Erklärungen, die ich verstehen kann. Deswegen sind sie so attraktiv für die Leute. 

Schiesser: Ja, die Menschen werden einerseits besser erreicht, weil sie simple Erklärungen bekommen, aber auch die Sympathie ist da wichtig, denn darauf bauen wir eher unsere Entscheidungen. Wir sind nicht so logisch orientierte Wesen, wie wir manchmal gerne wären.

derStandard.at: Emotionen sind also stärker als Logik?

Moder: Vertrauen ist einfach sehr wichtig. Kein Mensch kann auf allen Gebieten ein Spezialist sein. Niemand kann Teilchenphysiker sein und gleichzeitig klinische Studien durchführen. Der Rationalist sagt: Ich vertraue der wissenschaftlichen Methode des Erkenntnisgewinns, die ist logisch nachvollziehbar und kann vom Forscher auch erklärt werden. Da gibt es Versuche, die die Erkenntnisse untermauern. Mediziner berufen sich also auf Studien, wohingegen ein Alternativmediziner sagt: "Das fühlt man doch." Aber da sind viele Fehlerquellen involviert, und daher ist es vermutlich die schlechtere Informationsquelle - auch wenn die Person womöglich vertrauensvoller wirkt.

Schiesser: Auch Ärzte machen Fehler und diagnostizieren falsch - das passiert zwar selten, aber es passiert. Wir nehmen diese Fehler viel intensiver wahr. Wir merken uns nämlich nicht, dass der Arzt uns oft richtig behandelt hat, sondern wir merken uns den einen Fehler. Dadurch entsteht das Gefühl, dass man niemandem vertrauen kann. Wieso soll ich einem wissenschaftlich ausgebildeten Arzt mehr vertrauen als meinem Heiler, wenn der Arzt auch Fehler macht?

Moder: Das ist aber ein Trugschluss. Es gibt einen Spruch: "Die Fehler in der Medizin rechtfertigen den Gebrauch von Alternativmedizin genauso wenig wie Flugzeugabstürze den Gebrauch von fliegenden Teppichen." Das ist insofern wahr, als die Versäumnisse der evidenzbasierten Medizin, die es - etwa durch die viel zu kurzen Behandlungszeiten - sicherlich gibt, immer positiv den Alternativmedizinern angerechnet werden, obwohl das in diesem Kontext nicht zusammenhängt. 

Schiesser: Es ist nicht fair, nicht gerecht, nicht logisch - aber wir Menschen funktionieren so. Wir bilden unsere Meinungen überwiegend auf emotioneller Basis, es geht nicht so sehr um logische Prozesse. Das bei der ganzen Diskussion um Parawissenschaften auszusparen ist ein Fehler. Wichtig ist der Respekt vor dem anderen, zu fragen, woher diese Meinung kommt, eine grundsätzliche Sympathie herzustellen - dann werde ich in meinen Argumenten vielleicht gehört. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 30.12.2013)