Viele Menschen empfinden den Drang, möglichst allem, was geschieht einen Sinn zu geben. Sie versuchen insbesondere all das zu erklären, was sie unmittelbar erleben. Dazu gehört auch vieles, was sich scheinbar nicht auf natürliche Art und Weise erklären lässt, weshalb gerne das Übersinnliche oder Übernatürliche als Erklärung ins Spiel gebracht wird. Viele dieser Erklärungsansätze sind durchaus in sich geschlossen und oftmals (zumindest auf den ersten Blick) widerspruchsfrei. Es handelt sich dabei immer wieder um faszinierende Gedankengebäude, die sowohl das Sinnliche wie auch das Übersinnliche zu erklären scheinen und die manchmal auch sinnvoller oder „rationaler“ erscheinen als wissenschaftliche Erklärungsmodelle. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich mit diesen "übersinnlichen Erklärungsansätzen" aber schnell Schwierigkeiten.
Warum es rational ist an das Übersinnliche zu glauben
Aberglauben und Glauben an Übersinnliches sind äusserst weit verbreitet. So sollen 90 Prozent der Deutschen daran glauben, dass sie spüren können, wenn jemand sie von hinten anstarrt, glauben angeblich 50 Prozent der Deutschen an Wunder und knapp 40 Prozent an Engel. Experimente, bei denen Probanden Gott lästern sollten zeigten, dass Agnostiker bei der Gotteslästerung genauso starke Stresssymptome zeigten wie Gläubige. Auch Skeptiker kommen der Aufforderung höchstens ungern nach, einen (gewaschenen…) Pullover aus dem Nachlass Adolf Hitlers zu tragen, als ob dieser Pullover noch den "Geist" Adolf Hitlers enthielte. Ebenfalls zaudern Menschen, die sich als nicht abergläubisch bezeichnen, wenn sie das Bild des eigenen Eherings zerschneiden sollen - auch wenn sie glücklich verheiratet sind. Es scheint also ganz so zu sein, als ob niemand ganz frei vom Glauben an das Übernatürliche wäre (Der Spiegel Nr. 52, 21.12.13, S. 113-120).
Der Glaube an das Übersinnliche ist offenbar so tief im Menschen verankert, dass es nicht zu erstaunen braucht, wenn viele Menschen diesen Glauben über Erkenntnisse der Wissenschaft stellen, die übersinnliche Phänomene ausschliessen. Der Glaube an das Übersinnliche wird aber auch noch dadurch verstärkt, dass viele wissenschaftliche Erkenntnisse äusserst unplausibel erscheinen. So reduzieren viele Wissenschaftler Bewusstsein auf Materie oder leugnen die Existenz von Willensfreiheit oder einer unsterblichen Seele, behandelt die wissenschaftliche Medizin den Körper oftmals so als ob er eine Maschine wäre. Und zeigen nicht die Erkenntnisse der Quantenphysik, dass eben doch alles ganz anders, viel mystischer, viel übersinnlicher ist?
Wo die Wissenschaft den „Zufall“ am Werk sieht, den Menschen auf ein fast vernachlässigbares Wesen in einem fast unendlichen Weltall reduziert, erklärt beispielsweise die auf Übersinnlichem basierende Esoterik den Menschen als zentralen Teil eines grösseren Ganzen. In der Esoterik werden Zusammenhänge zwischen den Gestirnen und dem Leben eines individuellen Menschen hergestellt, Esoterik gibt dem Leben einen Sinn, indem sie beispielsweise die Wiedergeburt konstatiert. Esoterik gibt durchaus einleuchtende Gründe, warum jemand krank ist, weshalb jemand einen Schicksalsschlag erleidet, sie spendet je nachdem Trost und lässt vielen Menschen die Welt weniger kalt erscheinen.
Esoterische Assoziationen leuchten zudem oftmals unmittelbar ein. Wer mystische Gotteserfahrungen gemacht, Spontanheilungen erlebt, mit einem Pendel gearbeitet hat, wer schon Seelenverwandte kennengelernt hat, mit denen er oder sie Gedanken über grosse Distanzen austauschen konnte, wer sich Gedanken über Seelenwanderung und Karma gemacht hat, der wird kaum am Übersinnlichem zweifeln. Da spielt es auch keine Rolle, dass die Wissenschaft solche Erfahrungen ausschliesst oder zumindest als Täuschung abtut.
Aus dieser Perspektive wäre es geradezu irrational, der Wissenschaft zu glauben und übersinnliche Erfahrungen, die man selbst gemacht hat in Frage zu stellen. Zumal das wissenschaftliche, angeblich so rationale Denken immer wieder Irrtümer hervorgebracht hat und die wissenschaftliche Medizin gerade bei chronischen Krankheiten oftmals versagt, bei denen alternativmedizinische Verfahren immer wieder erfolgreich zu sein scheinen. Ist es nicht eine Tatsache, dass das physikalische Weltbild davon ausgeht, dass rund 96 Prozent des Universums dunkle Materie und dunkle Energie enthält - die bislang bloss behauptet und noch nie gemessen wurden, ohne die aber das gesamte physikalische Weltbild nicht funktioniert? Sind 96 Prozent des Universums unbekannt, dann ist es doch nur rational an Übersinnliches zu glauben, das erklärt, warum es eben noch mehr gibt zwischen Himmel und Erde. Die Wissenschaft mag ja vieles erklären können - aber eben längst nicht alles.
Entweder Wissenschaft oder Übersinnliches
Dass die Wissenschaft Übersinnliches und Übernatürliches in der Regel ablehnt hat allerdings seine guten Gründe. Denn auch wenn viele esoterische oder übersinnliche Erklärungen scheinbar Sinn ergeben und teilweise sehr spannend sind, haben sie einen Haken: sie sind bei näherer Analyse eben doch widersprüchlich oder empirisch entweder nicht bestätigt oder sogar widerlegt. Es handelt sich dabei um Gedankengebäude, die oftmals intuitiv einleuchten, aber deren Assoziationen und Spekulationen einer empirischen und logischen Überprüfung nicht standhalten.
Wohl das wichtigste Argument gegen (zumindest) die meisten Formen des Übersinnlichen besteht darin, dass diese das wissenschaftliche Weltbild nicht ergänzen, sondern mit diesem nicht vereinbar sind. Ob Analogiegesetz oder Alchemie, ob Elfe oder Engel, ob feinstoffliche Schwingungen oder morphogenetische Felder, ob Gotteserfahrung oder geistige Grundsubstanz, ob Handauflegen oder Homöopathie, ob Magie oder Mystik, ob Reinkarnation oder Resonanzgesetz, ob Telekinese oder Telepathie - (fast) alles, was mit Übersinnlichem erklärt wird ist grundsätzlich nicht mit dem wissenschaftlichen Weltbild vereinbar.
So widersprechen zumindest die meisten übersinnlichen Phänomene dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik - dem Energieerhaltungssatz. Die als übersinnlich postulierten Phänomene sollen in der Regel keine messbare Energie verbrauchen, was nur dann möglich ist, wenn der zweite Hauptsatz der Thermodynamik falsch ist. Die Existenz des Übernatürlichen würde zudem oftmals gegen das Kausalgesetz oder grundlegende logische Sätze verstossen. Entweder müssten also grundlegende von den Naturwissenschaften vorausgesetzte Theoreme falsch sein - oder zumindest die meisten übersinnlichen Vorstellungen.
Vielfach wird nicht beachtet, dass es sich nicht um ein "sowohl als auch", sondern um ein "entweder oder" handelt. Entweder sind die Grundgesetze der Wissenschaft korrekt oder es kann Übersinnliches existieren. Beides zugleich geht nicht. Das Eine funktioniert nur ohne das Andere. Insofern kann es auch keine übernatürlich funktionierenden "alternativen" oder "komplementären" Heilmethoden geben, ohne dass wichtige Grundannahmen der wissenschaftlichen Medizin falsch sein müssten. Entweder müssen sich alternativmedizinische Methoden oder auch "übernatürliche" Phänomene ganz natürlich erklären lassen oder wesentliche Grundtheoreme der wissenschaftlichen Medizin und der Naturwissenschaft sind falsch.
Eine notwendige Revolution in den Wissenschaften?
Es gibt allerdings auch immer wieder Stimmen, die darauf hinweisen, dass es in der Wissenschaft immer wieder "Revolutionen" gegeben habe und deshalb womöglich diese Grundgesetze in der Tat falsch seien. Es sei immerhin denkbar, dass die mit dem Übersinnlichen nicht kompatiblen Gesetze sich dereinst als falsch herausstellten. Auch wenn eine solche Revolution kaum denkbar ist, ist sie nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Es stellt sich allerdings die Frage, welche Bedingungen eine solche Revolution erfüllen müsste.
Zum einen ist klar, dass neue Grundlagen all dies erklären können müssten, was die Wissenschaft heute schon erklären kann - und zusätzlich das Übernatürliche und Übersinnliche. Zudem dürfte eine solche Revolution nicht alleine auf Spekulationen basieren, sondern müsste eine überaus solide empirische Bestätigung haben. Sollte also das Übersinnliche oder Übernatürliche Basis einer solchen Revolution sein, dürften sich die behaupteten übersinnlichen Phänomene nicht mit bereits existierenden wissenschaftlichen Methoden erklären lassen (da ansonsten eine Revolution nicht notwendig wäre) und müsste das Übersinnliche sich eindeutig nachweisen lassen. Denn aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Anlass dazu, eine solche Revolution einfach auf Verdacht hin anzunehmen, zumal keine Alternative in Sicht ist, die die wissenschaftlichen Grundannahmen ersetzen könnte.
Fehlende Bestätigung des Übersinnlichen
Damit übersinnliche Erklärungen deren wissenschaftlichen Pendants ersetzen könnten, müssten sie also überaus (!) gut bestätigt sein. Nur weil sich einige wenige Phänomene nicht auf natürliche Weise erklären lassen, ist sicherlich nicht Grund genug, wichtige Grundgesetze der Wissenschaft ausser Kraft zu setzen und damit die Wissenschaft als Ganzes in Frage zu stellen.
Aus diesem Grund akzeptieren Wissenschaftler keine noch so eindrücklichen »Anekdoten als Belege für die Existenz des Übernatürlichen. Vielmehr fordern sie, dass die angeblich übersinnlichen oder übernatürlichen Phänomene unter kontrollierten Bedingungen überprüft werden. Denn angeblich übersinnliche Phänomene lassen sich meist bei genauerer Untersuchung ganz natürlich erklären, auch wenn dies auf den ersten Blick unmöglich erscheint. Dies zeigt sich besonders eindrücklich am Beispiel von Magiern. Selbstverständlich hat »David Copperfield die Freiheitsstatue nicht mit magischen, "übernatürlichen" Kräften vor Publikum zum Verschwinden gebracht, selbstverständlich kann »Thorsten Havener Gedanken nicht auf übersinnliche Art und Weise lesen. So erstaunlich die Tricks von Magiern wie Copperfield und Havener auch erscheinen, sie sind stets ganz natürlich erklärbar. Lassen sich aber sogar die unglaublichsten magischen Tricks natürlich erklären, legt dies nahe, dass dasselbe erst recht für die subjektiv erlebten, angeblich übernatürlichen Fähigkeiten von Herrn oder Frau Müller gilt. Oder auch den von Frau und Herrn Müller subjektiv beurteilten übersinnlichen Fähigkeiten ihres "Gurus" oder Alternativmediziners. Auch wenn gerne betont wird, dass solche über uraltes Wissen verfügten - gerade die antiken Schamanen und Priester kannten in der Regel einige (aus heutiger Sicht wohl eher billige...) Tricks, mit denen sie Menschen von ihren angeblich übernatürlichen Fähigkeiten überzeugten. Es ging um Macht und Einfluss - aber es gibt keine Hinweise dafür, dass es in der Antike "Wunder" gegeben hat, die heute als ausgeschlossen gelten können.
Um solche Täuschungen auszuschliessen werden seit vielen Jahren Tests durchgeführt, um das Übernatürliche oder Übersinnliche wissenschaftlich nachzuweisen. Besonders bekannt geworden ist die »James Randi Foundation, die für den eindeutigen Nachweis von übernatürlichen Kräften einen Preis von einer Million Dollar ausgeschrieben hat. Gelungen ist dies bis heute trotz vieler Versuche niemandem. Auch die »GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) führt regelmässig solche Tests in Deutschland durch und die Ergebnisse sind eins ums andere Mal mehr als eindeutig. Menschen, die felsenfest von ihren "übernatürlichen" Fähigkeiten überzeugt sind, werden unter kontrollierten Umständen regelmässig regelrecht entblösst: ihre Trefferquote lag bislang niemals über jener, die durch den Zufall erklärt werden kann oder höchstens leicht darüber.
Solche Tests zeigen vor allem eins: auch die stärkste subjektive Überzeugung kann falsch sein, weshalb subjektive Erlebnisse, so eindrücklich sie auch sein können, als Beleg für die "Wahrheit" übersinnlicher Theorien nicht genügen (»Warum persönliche Erlebnisse wenig Aussagekraft haben). Die subjektive Überzeugung, über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen ist allerdings bei vielen Menschen derart stark, dass sie die negativen Resultate nicht anerkennen und stattdessen Erklärungen für ihr Scheitern suchen. Sie assoziieren munter weiter, obwohl die Ergebnisse für Aussenstehende mehr als eindeutig sind.
Auch die CIA hat lange Jahre grosse Anstrengungen unternommen, übersinnliche Fähigkeiten nachzuweisen. Ob Gedankenübermittlung über weite Distanzen, Aufspüren von Massenvernichtungswaffen mittels Wünschelrute, ob die Möglichkeit durch Mauern hindurchzugehen oder Menschen aus der Ferne zu beeinflussen oder gar zu töten - die Möglichkeiten schienen enorm. Doch das Geheimprojekt "MK-Ultra" musste abgebrochen werden, da sich die erwünschten Effekte einfach nicht zeigen wollten (Kuch 2014, S. 159-212; Film Männer, die auf Ziegen starren).
Damit Übernatürliches oder Übersinnliches die Wissenschaft widerlegen könnte, bräuchte es sehr starke Belege der behaupteten Effekte. Da solche intensiv gesucht, aber bislang auch nicht annähernd gefunden wurden ist das Fazit eindeutig: Übersinnliches, das den Grundgesetzen der Naturwissenschaft widerspricht gibt es nicht.
Natürliche Erklärungen für das "Übersinnliche"
Dieses Fazit wird noch verstärkt dadurch, dass sich vieles, wenn nicht sogar alles, das als übersinnlich empfunden wird rein natürlich erklären lässt. So sind die Wirkmechanismen der meisten alternativmedizinischen Verfahren vor allem auf psychologische Effekte zurückzuführen (»Alternativmedizin: Wie sie wirkt; »natürliche Erklärungen für die Erfolge der Homöopathie), lässt sich die Funktionsweise von Pendel und Wünschelruten leicht erklären, hat Gläser- und Tischrücken keinen übersinnlichen oder übernatürlichen Hintergrund. Wie solche Effekte funktionieren lässt sich im Buch "Paranormalität: Warum wir Dinge sehen, die es nicht gibt" von Richard Wiseman leicht nachvollziehbar nachlesen (Fischer Taschenbuch).
Der Glaube an Übernatürliches oder Übersinnliches lässt sich dadurch erklären, dass die Phantasie zugleich überhand nimmt und zu wenig stark ist: auf der einen Seite wird frei darauflosassoziiert, werden übernatürliche Wirkmechanismen erfunden, die die Phänomene mit Leichtigkeit und vor allem meist "schmeichlerisch" erklären. Ist ein "Guru" oder ein "Gott" dafür verantwortlich, kann man stolz vor sich selbst verkünden, dem richtigen Glauben anzugehören, glaubt man selbst über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen, beweist das nur die eigene "Grösse". Die Erklärungen "passen" immer (»aber es passt).
Würde man allerdings andererseits noch etwas weiter nachdenken und die Phantasie etwas mehr anstrengen, liesse sich der "Trick" hinter dem Übernatürlichen meist mehr oder weniger leicht erkennen, wie wiederum Beispiele aus der Magie zeigen. Die dort verwendeten Tricks sind zwar bisweilen äusserst komplex, lassen sich aber meist leicht nachvollziehen, wenn der Trick verraten wird. Ein anderes Beispiel hierfür ist der »unmögliche Wasserfall von MC Escher - der in der Realität nachgebaut wurde. Auch hier geht es keineswegs mit übernatürlichen Kräften einher - sondern mit einem tiefen Griff in die »Trickkiste.
Viele natürliche Erklärungsansätze für scheinbar übersinnliche und übernatürliche Effekte finden sich im bereits erwähnten Buch von Richard Wiseman oder vielerorts im Internet. Stellvertretend sei auf die gute Zusammenfassung von Stephan Matthiesen verwiesen: »Der Glaube an Paranormales: Erklärungsansätze oder auch der Bereich »Argumentationsanalyse. Die Annahme von Übernatürlichem sollte erst der letzte Schritt sein, nachdem Betrug (der viel öfter vorkommt als gemeinhin angenommen), Unwissen oder psychologische Erklärungen mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden können. Denn die Annahme von Übersinnlichen ergänzt Wissenschaft in der Regel nicht, sondern würde sie widerlegen.
Fazit
Wer die Existenz von Übernatürlichem oder Übersinnlichem behauptet, muss zum einen nachweisen können, dass sich die behaupteten Effekte nicht natürlich erklären lassen und zum anderen, dass sie gegen keines der Grundgesetze der Naturwissenschaften verstossen. Enthält eine "Theorie des Übersinnlichen" Widersprüche oder Effekte, welche beispielsweise mehr Energie generieren, als sie verbrauchen, kann diese Theorie faktisch ausgeschlossen werden.
Dies umso mehr, als bis heute die übersinnlichen Effekte unter kontrollierten Bedingungen regelmässig verschwinden und sich alternative Erklärungen aufdrängen, die oft auf psychologischen Mechanismen beruhen. Beispielsweise auf der menschlichen Eigenheit, lieber wild draufloszuassoziieren und die eigenen Wahrnehmungen und Schlüsse für bare Münze zu nehmen, als die Anstrengung auf sich zu nehmen die behaupteten übersinnlichen Effekte mit kühlem Kopf zu untersuchen.
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