Die konventionelle, evidenzbasierte Medizin
Unter konventioneller Medizin wird meist die naturwissenschaftlich begründete, an Universitäten gelehrte Medizin verstanden. Die evidenzbasierten Verfahren kommen in der Regel auf zweierlei Weise zustande:
1. Verständnis des Kausalzusammenhangs
Um eine Behandlungsmethode zu finden, kann man versuchen, die Kausalzusammenhänge zu verstehen und Wege zu finden, um die kausalen Ursachen der Symptome zu beheben. Wird beispielsweise ein Knochen gebrochen, kann man diesen wieder zusammenflicken. Ist ein Herzkranzgefäss verengt, kann dieses durch einen Bypass überbrückt werden. Ist der Körper überzuckert, weil ihm Insulin fehlt, kann dieses zugeführt werden. Gibt es einen bakteriellen Infekt, kann dieser durch Antibiotika bekämpft werden.
Das Wirkprinzip vieler Antidepressiva besteht beispielsweise darin, dass das Medikament, ein so genannter Serotoninwiederaufnahmehemmer die Wiederaufnahme von Serotonin hemmt und damit dem menschlichen Körper mehr Serotonin zur Verfügung steht. Serotonin hat einen wichtigen Einfluss auf die Stimmung von Menschen, mangelt es am Botenstoff, kann sich das auf die Stimmungslage des Patienten auswirken. Doch hilft diese Massnahme nicht allen Patienten, da Ursachen für Depressionen sehr unterschiedlicher Art sein können. Auch wenn die Therapie also nicht anschlägt, ist zumindest oft bekannt, was das Medikament im Körper bewirkt. Besonders eindrückliche Erfolge hat man dabei mit Antibiotika oder Schmerzmitteln.
Es gibt aber auch Fälle, wo man nicht genau weiss, wie ein Medikament wirkt, doch geht man in der Schulmedizin immer davon aus, dass es auf "natürliche" Art und Weise wirken muss, zumeist chemisch, weshalb weiter geforscht wird. Dadurch, dass man immer besser versteht, wie der menschliche Körper funktioniert, ist es möglich, immer bessere Medikamente zu entwickeln. Da der Mensch aber äusserst komplex ist, sind die Fortschritte in manchen Bereichen relativ klein, in anderen aber erstaunlich gross.
Wo die Kausalzusammenhänge verstanden sind, ist die konventionelle Medizin besonders erfolgreich und gibt es keine Notwendigkeit für eine Alternativmedizin. Es mag zwar auch "Heiler" geben, die angeblich Knochenbrüche erfolgreich durch Handauflegen heilen können, doch ist das eher die Ausnahme. Die Alternativ- und Komplementärmedizin hat denn auch ihren grössten Einfluss im "zweiten" Bereich der Medizin, der zwar wie diese auf Erfahrung basiert, allerdings zusätzlich überprüfbar ist.
2. Evidenzbasierte Verfahren
Die meisten konventionell medizinischen Verfahren sind letztendlich evidenz- oder erfahrungsbasiert. Ohne bis ins letzte Detail verstanden zu haben, wie ein Medikament oder eine Behandlung wirkt oder warum sie nicht bei allen Menschen wirkt, wird sie angewandt, weil sie erfolgreich ist. Wenn 70 Prozent der Probanden in einer Doppelblindstudie positiv auf eine Behandlung ansprechen, ist es natürlich sinnvoll, diese auch anzuwenden, auch wenn man in manchen Fällen kaum oder keine Ahnung hat, warum die Behandlung wirkt. Hier setzen alternativ- und komplementärmedizinische Verfahren an und behaupten, dass ihre Behandlungsmethoden mindestens so erfolgreich seien wie evidenzbasierte konventionelle Verfahren.
Viele Verfahren sowohl der konventionellen wie auch der alternativen Medizin sind abhängig vom einzelnen Individuum und funktionieren nicht bei jedem Menschen gleich. Es gibt jedoch Verfahren, auf welche eine eindeutige Mehrheit ansprechen und solche, die wirkungslos oder sogar kontraproduktiv sind - wie beispielsweise der Contergan-Skandal gezeigt hat, wo die Nebenwirkungen viel schädlicher waren als die erwünschten Wirkungen. Um die Wirksamkeit von Medikamenten zu prüfen, befolgt die konventionelle Medizin deshalb strenge Prüfverfahren. Denn gerade potente Medikamente können auch grossen Schaden anrichten. Zu diesen Verfahren gehören komplizierte doppel- und dreifachblind Studien, welche unter strenger Aufsicht unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden (vgl. auch randomisierte, kontrollierte Studien). Im Idealfall (natürlich gibt es auch gekaufte und unseriös durchgeführte Studien) kann so mit grosser Genauigkeit die Wirksamkeit von Medikamenten festgestellt werden. Das bedeutet aber nicht, dass sie bei allen Menschen wirken und sie keine unerwünschten Nebenwirkungen haben können.
Konventionelle Medikamente müssen heute zumindest für ihr Hauptanwendungsgebiet komplizierte, teure und umfangreiche Prozeduren durchlaufen, um überhaupt auf den Markt kommen zu dürfen. Ihre Wirksamkeit muss nachgewiesen sein und Nebenwirkungen müssen möglichst ausgeschlossen oder minimiert werden können.
Wie funktioniert Alternativmedizin?
Während die konventionelle Medizin meist zumindest einige Funktionsweisen eines Medikaments kennt (und manche Nebenwirkungen möglicherweise übersieht), können alternative Verfahren in der Regel nicht wirklich oder überhaupt nicht erklären, warum ihre Behandlungsform wirkt. Anhand von einigen Erfolgsberichten wird behauptet, dass die Methode wirkt und werden meist ziemlich abenteurliche Versuche gestartet, die Wirkweise zu erklären. So werden gerne irgendwelche "feinstofflichen", "geistigen", "quantenmechanischen" nicht nachweisbaren "Energien" bemüht, "Information", "Schwingungen" und ähnliches sollen für die Wirkweise kausal verantwortlich sein. Klar ist auf jeden Fall, dass die angebliche Wirkung nicht auf konventionelle, natürliche Art und Weise geschehen kann und in der Regel grundlegenden Naturgesetzen widersprechen müsste. Die behaupteten Schwingungen, Energien etc. sind reine Spekulationen, die durch keine experimentellen Belege gesichert sind. Es sind letztendlich Behauptungen, die oftmals auf paranormalen (»Parawissenschaft) Weg zustande gekommen sein sollen. Während die konventionelle Medizin also zumindest in der Regel auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut, basieren Alternativ- und Komplementärmedizin auf spekulativen Ideen, die einem Weltbild, aber kaum den Tatsachen entsprechen und (meist) grundsätzlich nicht nachgewiesen werden können.
Umso wichtiger wäre es deshalb, eindeutig nachzuweisen, dass alternativmedizinische Verfahren funktionieren - doch dies ist bis heute nicht gelungen. Es gibt kaum eine alternativmedizinische Therapieform, der in seriös kontrollierten wissenschaftlichen Studien eine stärkere Wirkung als jene eines Placebo nachgewiesen werden konnte. Es ist also zumindest fraglich, ob Alternativ- oder Komplementärmedizin überhaupt Medizin ist und ob es sich dabei um eine Alternative oder Ergänzung zur konventionellen Medizin handeln kann.
Da es sich bei den Wirkprinzipien der Alternativmedizin vor allem, wenn nicht ausschliesslich um psychologische Effekte wie den Placeboeffekt handelt, spielt es grundsätzlich keine Rolle, welche Form angewandt wird. Wie diese Mechanismen wirken, wird im Artikel »Wie wirkt Alternativmedizin? genauer erörtert.
Warum vertrauen so viele Menschen der Alternativmedizin?
Viele Menschen stehen der Wissenschaft sehr skeptisch gegenüber, da diese als unnatürlich und kalt betrachtet wird. Sie wenden sich deshalb gerne einer oder mehrerer der sehr vielen Formen von Alternativmedizin zu, die ihrem Weltbild besser entsprechen.
Menschen, welche schlechte Erfahrungen gemacht haben mit der konventionellen Medizin oder die als "hoffnungslose" Fälle bezeichnet werden, suchen neue Hoffnung im alternativen Bereich.
Viele Menschen lassen sich durch anekdotische Wunderheilungen und laut postulierte angebliche Grosserfolge der Alternativmedizin täuschen.
Wie Alternativmedizin wirkt, respektive nicht wirkt finden Sie in folgenden Artikeln genauer erläutert:
»Alternativmedizin: Wie sie nicht wirkt
»Erklärungen für die Erfolge der Homöopathie
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