"Wenn wir überhaupt etwas erkennen, erkennen wir Tatsachen. Diese Tatsachen sind häufig Tatsachen an sich, also Tatsachen, die auch ohne uns Bestand haben. Eine heute weitverbreitete Version des Konstruktivismus beruft sich auf die Hirnforschung. Man liest und hört manchmal, dass die bunte vierdimensionale Wirklichkeit, die wir wahrnehmen, ein Konstrukt oder eine Konstruktion unseres Gehirns sei. In Wahrheit gäbe es nur physische Teilchen oder irgendwelche "verrückten" Vorgänge, etwa zitternde Strings in vieldimensionalen Räumen oder, weniger erfinderisch, subatomare Teilchen, die durch gewisse Gesetze gleichsam zu farblosen Festkörpern gerinnen, an denen Lichtteilchen abprallen. Durch Kontakt mit unseren Nervenenden entstünden Reize, die unser Gehirn dann unbewusst zu einer Art interaktivem Videospiel verknüpft, das wir kollektiv halluzinieren.

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Schaut man sich den Neurokonstruktivismus genauer an, sieht man sofort, dass an ihm ungefähr gar nichts wahr ist, außer dass wir Gehirne haben und dass es Teilchen und spannende spekulative physikalische Theorien gibt. Wenn alles, was wir mittels unseres Gehirns beobachten, nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, da diese nur aus zitternden Strings besteht, die sich in elf Dimensionen bewegen, dann gilt dies auch für unser Gehirn selbst. Der Neurokonstruktivismus müsste seinen eigenen Behauptungen gemäß konsequenterweise annehmen, dass wir überhaupt kein Gehirn haben. Daraus folgt aber, dass die These, unsere bunte vierdimensionale Umwelt sei eine körperinterne Gehirnsimulation, selbst in jeder Hinsicht nur eine hirnlose Simulation ist.

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Der allgemeine Grundfehler des Konstruktivismus besteht darin, dass er nicht erkennt, dass es kein Problem ist, Tatsachen an sich zu erkennen."

Gabriel 2013, S. 59-61.